Es sollte eigentlich ein Abend werden, um den rund 90.000 Soldat:innen zu danken, die in den vergangenen 20 Jahren in der Bundeswehrmission in Afghanistan im Einsatz waren. Was vor Ort auch feierlich geschah, löste im Internet massenhaft Kritik aus.
Der Fackelmarsch von uniformierten Soldaten im Zuge des Großen Zapfenstreichs vor dem Berliner Reichstagsgebäude sorgte bei vielen bei vielen Usern für Unbehagen und Assoziationen zur NS-Zeit und der Wehrmacht. "Ich finde Fackelmärsche von Uniformierten vor dem Reichstag richtig, richtig scheiße. Egal aus welchem Anlass", twitterte der Satiriker Jan Böhmermann. Christian Ströbele, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen, kritisierte das Ritual aus Preußen und der NS-Zeit. "In dem Krieg (in Afghanistan, Anm. d. Red.) starben über 175.000 Menschen – meist Zivilisten. Nichts ist gut in Afghanistan. Was gibt es da zu feiern?", schrieb Ströbele.
Unter einem Video des Fackelmarschs, gepostet vom Verteidigungsministerium selbst, entbrannte bereits nach kurzer Zeit eine Debatte über Sinn und Unsinn des Zapfenstreichs. "Bei allem Respekt vor den Soldat:innen, die in Afghanistan ihr Leben riskiert haben, braucht es denn wirklich einen Fackelzug von Soldat:innen mit Stahlhelm? Welche Erinnerungen weckt das bei unseren europäischen Nachbarn?", fragte ein User unter dem Beitrag und sprach damit wohl den meisten Kommentierenden aus der Seele. Am Donnerstag trendete neben der Bundeswehr auch der Hashtag "#Wehrmacht" bei dem Kurznachrichtendienst.
Bilder sorgen auch international für Irritationen
Auch international sorgten die Bilder vom Zapfenstreich für Irritationen. Der holländische Korrespondent Wouter Zwart ordnete auf Twitter zunächst den Anlass des Zapfenstreichs für seine Follower ein, mahnte aber auch, dass "jeder, der den Fackelmarsch sieht auch sofort versteht, warum vielen diese Bilder nicht gefallen". Der BBC-Korrespondent Anthony Zurcher fragte, ob "man das bitte unterlassen könnte". Die Washingtoner Journalistin Julia Ioffe teilte das Video mit dem Hinweis, dass "das mit einer Triggerwarnung kommen sollte".
Tradition des Zapfenstreichs stammt aus dem 16. Jahrhundert
Bereits kurz nach dem Videopost sah sich das Verteidigungsministerium offenbar genötigt, eine Erklärung bei Twitter zum Zapfenstreich abzugeben. "Der Große Zapfenstreich gilt unseren Soldatinnen & Soldaten. Er ist Ehre für die Truppe. Hier werden Menschen gewürdigt, die ihr Leben für die Demokratie eingesetzt haben. Das politisch zu missbrauchen, ist unwürdig", hieß es in einer Stellungnahme, die am Donnerstagmorgen auch auf Englisch veröffentlicht wurde.
Ebenfalls am Donnerstagmorgen legte das Verteidiungsministerium nach. "Debatte ist notwendig und wichtig. Vergleiche mit dem dunkelsten Kapitel Deutschlands enttäuschen uns. Die Bundeswehr ist Parlamentsarmee. Als diese hat sie ihren Platz inmitten der Gesellschaft – bei besonderen Anlässen auch vor dem Reichstagsgebäude", so die Social-Media-Abteilung des Verteidigungsministerium auf Twitter, die dazu ein Video vergangener Zapfenstreiche teilte.
Beim Großen Zapfenstreich handelt es sich um das höchste und feierlichste Zeremoniell der Bundeswehr, der laut eigenen Angaben "den Zusammenhalt der Truppe festigen und die Verbundenheit von Bundeswehr und Bevölkerung stärken soll" – gerade Letztes am Mittwoch scheint in den Augen vieler Beobachter misslungen zu sein. Während viele sich an die Bilder aus Zeiten des Nationalsozialismus erinnert fühlten, hat das Zeremoniell eine viel ältere Vergangenheit. Bereits im 16. Jahrhundert wurde der Ausschank in Wirtshäusern beendet, indem der sogenannte Profos mit dem Säbel über Bier- und Weinfässer strich. Gleichzeitig riefen Trommler die Musiker zur Nachtruhe ins Feldlager. In seiner heutigen Form als musikalischer Aufmarsch existiert der Große Zapfenstreich seit 1838 und wird immer am Abend und meist in der Öffentlichkeit ausgetragen.
Beim Zapfenstreich am Mittwochabend würdigten die Spitzen des Staates die Leistungen der in Afghanistan eingesetzten Soldat:innen. Dabei zog Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier allerdings eine zwiespältige Bilanz der 20-jährigen Mission. Bundestagsabgeordnete drängten parteiübergreifend auf eine grundlegende Aufarbeitung des Einsatzes. Viele Menschen stellten nach dem Fall von Kabul "Fragen nach dem Sinn dieses Einsatzes", sagte Steinmeier bei der Veranstaltung. Er äußerte sich überzeugt, dass die Mission ursprünglich richtig gewesen sei. Besonders gedachte er der 59 deutschen Soldaten, die im Afghanistan-Einsatz gestorben sind. "Wir stehen tief in ihrer Schuld", sagte der Bundespräsident.

"Heute ist der Tag, um Danke zu sagen und Respekt zu zeigen", sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Sie forderte jedoch, den Einsatz "mit dem notwendigen Maß an Selbstkritik" zu diskutieren. Einsätze müssten künftig "auf klaren Mandaten und realistischen Zielen beruhen". Es werde jedoch den Leistungen der Soldatinnen und Soldaten auch nicht gerecht, "wenn wir pauschal 20 Jahre Engagement als Desaster und Katastrophe abkanzeln".
Quellen: Bundeswehr, Twitter, AFP