Kannibalismus-Prozess Die Grenzen des Vorstellbaren

Mit einem Geständnis voll schockierender Details hat der Prozess gegen den "Kannibalen" Armin Meiwes begonnen. Der Angeklagte schilderte, wie er einen Berliner vor laufender Kamera zerstückelte und aufaß. Ein Gutachter hält ihn für voll schuldfähig.

Der Kannibale von Rotenburg gibt sich bei seinem ersten Auftritt als Angeklagter seriös: In anthrazitfarbenem Anzug mit gelb gemusterter Krawatte sitzt Armin Meiwes den Richtern des Landgerichts Kassel am Mittwoch gegenüber. Über seine Tat erzählt er redegewandt, als wäre sie das Normalste der Welt. Unumwunden gibt er die Tötung und den Kannibalismus zu, widerspricht aber der Anklage in einem entscheidenden Punkt: Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs vor. Dagegen betont der 42-jährige allein stehende Computertechniker, das Sexuelle habe nicht im Vordergrund gestanden.

Er habe sich als Kind, nachdem der Vater die Familie verließ, sehr allein gefühlt und bereits vom Schlachten eines "jüngeren Bruders" fantasiert. Dabei habe er sich auch sympathische Schulkameraden wie einen Frank (danach nannte er sich später im Internet Frankie) als Opfer vorgestellt. Gefallen habe ihm Sandy aus der TV-Serie "Flipper". Während der Pubertät habe er sich vorgestellt, dass ein junger, aber erwachsener Mann "ein Teil von mir werden soll". Diese Fantasie habe sich immer mehr gesteigert, er habe dabei aber nie an seinen wirklichen Bruder gedacht.

Vom Zeitsoldat zum PC-Techniker

Armin Meiwes lebte seit 1980 allein mit seiner Mutter in einem großen, düsteren Gutshaus. Anfang 1981 kam er zur Bundeswehr, verpflichtete sich als Zeitsoldat und wurde wunschgemäß in Rotenburg stationiert, so dass er weiter zu Hause wohnen konnte. Als Berufssoldat wurde er später abgelehnt, deshalb begann er eine Ausbildung als PC-Techniker und eine Stelle in einem Rechenzentrum.

Meiwes hält sich für bisexuell. Er hatte nach eigenen Angaben nur wenige Beziehungen, die längste von etwa einem halben Jahr mit einer Frau, die er über eine Heiratsvermittlung kennen gelernt hatte. Mit ihr will er sich ohne Wissen seiner Mutter verlobt haben. Seine Mutter sei dominant gewesen, aber mit seiner Verlobten wäre er "vom Regen in die Traufe gekommen", sagte der Angeklagte. Aber in den zehn Jahren bis zum Tod seiner Mutter im September 1999 habe er keinerlei sexuellen Kontakte mehr gehabt.

Danach suchte er Informationen über den Tod im Internet. Zunächst habe er nur nach Bildern von schönen männlichen Körpern gesucht, sagte Meiwes. Danach habe er sich auch Fotos von Unfallopfern heruntergeladen. Mitte 2000 sei er auf die Rubrik "Flesh and Bone" gestoßen und habe mit Männern Kontakt gehabt, die davon fantasierten, sich schlachten zu lassen. Vor 2002 habe er fünf mal Geschlechtskontakt mit Männern gehabt, die er via Internet kennen gelernt hatte.

Wie seine Kannibalismus-Fantasie entstand, schildert Meiwes so: Er habe Hausschlachtungen bei Nachbarn gesehen und dabei auch mitgemacht. Zombie-Filme hätten ihn interessiert; "da kam eins zum anderen", sagt er. Bei seinen Vorstellungen vom Bauchaufschlitzen und Ausnehmen habe er ein gutes Gefühl gehabt. Machtgefühl habe aber keine Rolle gespielt.

"Ich suche einen normal gebauten Mann"

Nach dem Tod seiner Mutter begann er, mit Internet-Anzeigen einen Mann zum Schlachten zu suchen. Er stellte zehn bis 20 Seiten ins Internet. Auf Annoncen wie: "Ich suche einen normal gebauten Mann im Alter von 18 bis 25 Jahren für reale Schlachtung und Verspeisung. Bewerbung mit Größe, Alter und Gewichtsangaben unter..." erhielt er nach eigenen Angaben bis zu 430 E-Mails von Interessenten. Für englischsprachige Interessenten hatte Meiwes seine Suche auch übersetzt.

Der 43-jährige Berliner Diplom-Ingenieur Bernd Jürgen B. suchte seinerseits jemanden, der ihn schlachten und essen sollte. Meiwes kontaktierte ihn, nach wochenlangem Chat-Verkehr reiste B. am 9. März 2001 nach Kassel, um sich in Meiwes’ Haus in Rotenburg töten zu lassen. Anleitungen zum Schlachten besaß der Computertechniker schon seit 1999 - ebenfalls aus dem Internet.

Am 9. und 10. März 2001 setzten die beiden Männer ihre Fantasien in die Tat um. Bernd Jürgen B. ging es Meiwes zufolge vor allem darum, zu erleben, wie ihm der Penis abgebissen würde. Er ließ sich deshalb Bilder von Meiwes’ Gebiss schicken. Der Rotenburger schaffte es jedoch nicht. Nach mehreren Versuchen griff er zum großen Schlachtermesser und schnitt das Geschlechtsteil ab.

Als Armin Meiwes ihn am nächsten Morgen mit einem Stich in den Hals tötete, empfand er nach eigenen Worten gleichzeitig "Hass, Wut und Glück". "Der Moment des Tötens war schrecklich", erklärt er. Besonders angesprochen habe ihn das Ausweiden des Toten.

Menschenfleisch in der Tiefkühltruhe

Zur Vereinbarung gehörte laut Meiwes auch, dass die Tat auf Video aufgenommen werden sollte. B. wollte sich das Abbeißen seines Penis noch einmal anschauen, Meiwes sah sich die Tötungsszene drei Tage später an und onanierte dabei. "Die Fleischabfälle wurden durch den Fleischwolf gedreht; Haut und Eingeweide wurden im Garten vergraben." In den nächsten Monaten aß er nach und nach 20 Kilogramm von dem Menschenfleisch aus seiner Tiefkühltruhe.

Nach der Tat suchte Meiwes weiter nach Schlachtopfern. Bis zu seiner Verhaftung am 10. Dezember 2002 hatte der ehemalige Soldat fünf Männer getroffen.

DPA
Frank Leth und Inge Treichel

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