Herr Surjasentana, Sie sind Intensivpfleger und Künstler zugleich. Wie ist es zu dieser besonderen Kombination gekommen?
Surjasentana: Ich habe schon immer viel gemalt und gezeichnet. Alles fing an mit Trickfilmen und Comics und mit den Superhelden, deren Bilder ich an meiner Kinderzimmerwand sehen wollte. Kunst fasziniert mich seit jeher, da man beim Zeichnen neue Welten erschaffen und Erlebtes auf Papier bringen kann kann. Zwar gab es in meiner Jugend immer mal Phasen, in denen ich nicht so viel gezeichnet habe, aber die Malerei hat mich mein ganzes Leben über nie losgelassen.
Über ein Freies Soziales Jahr bin ich auf den Beruf des Intensiv-Krankenpflegers aufmerksam geworden. Seitdem mache ich beides – ich arbeite im Krankenhaus und ich zeichne. Ich finde es wunderbar, beide Tätigkeiten miteinander verbinden zu können. Es geht beides Hand in Hand.
Ihre Ölgemälde erschaffen Sie aus Fotografien, die Sie während Ihrer Arbeit im Krankenhaus machen. Wie sind Sie darauf gekommen, den Klinikalltag in Kunstwerken festzuhalten?
Ich habe schon immer das fotografiert und anschließend gemalt, was mich im Alltag beschäftigt - ich kann gar nicht anders. So wie andere vielleicht Tagebuch schreiben, so habe ich das Zeichnen. Seit ich berufsbedingt viel Zeit im Krankenhaus verbringe, zeigen auch viele meiner Gemälde den Klinikalltag. Das war eine Entwicklung, die sich wie von selbst eingestellt hat.
Anfangs habe ich im Nachtdienst die besondere Stimmung auf den Krankenhausfluren eingefangen, dann habe ich damit begonnen, meine Kolleginnen und Kollegen zu zeichnen. Später wurde ich mutiger und habe, nach Absprache mit dem Chefarzt, auch Szenen in den Krankenzimmern fotografiert, um diese später in meinem Atelier zu zeichnen.
Viele meiner Gemälde zeigen, wie die Menschen auf einer Intensivstation arbeiten und wie sie als Team interagieren. Ohne viele Worte weiß jeder, was der andere tut, welche Handgriffe im Falle eines Notfalls sofort geschehen müssen und wie die Abläufe funktionieren - so etwas zu beobachten und zu dokumentieren, finde ich sehr spannend.
Wie haben Ihre Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus anfangs auf Ihre Fotografie reagiert und wie gehen sie jetzt damit um, wenn Sie mitten in einem Notfall plötzlich die Kamera zücken? Ist das nicht irritierend?
Absolut, besonders wenn jemand neu ins Team kommt! (lacht) Als ich 2016 für mein Kunststudium nach Weimar kam und damals begann, auf Teilzeit im Krankenhaus zu arbeiten, war ich für viele in der Klinik einfach „der Kunststudent“. Wenn ich Fotomontagen anfertigte oder andere kreative Projekte verfolgte, hieß es immer belächelnd „Achja, der Künstler mal wieder“.
Doch nachdem ich meine ersten Bilder, die aus Fotografien auf der Intensivstation entstanden waren, dem Chefarzt unseres Klinikbereichs gezeigt hatte, regte dieser an, einige der Gemälde bei uns im Krankenhaus aufzuhängen. Diese Öffentlichkeit war mir zuerst unangenehm. Ich war nicht sicher, wie die Resonanz des Kollegiums sein würde. Doch schon kurze Zeit später bekam ich großartiges Feedback. Ich glaube, einige dachten: „Hey, der kann ja doch was!“ Und plötzlich sprachen mich viele Kolleginnen und Kollegen auf die Kunst an, mit denen ich vorher nie etwas zu tun gehabt hatte.

Von da an war meine Kamera immer auf der Arbeit mit dabei und es hat niemanden mehr irritiert. Im Gegenteil, es kamen sogar einige kleine Eitelkeiten zum Vorschein. Etwa, wenn ich einen Kollegen mit etwas zu wenig Haar gemalt hatte oder eine Person öfters auf den Gemälden zu sehen war als eine andere. (lacht) All diese Dialoge als Ergebnis meiner Kunst zu erleben, war total schön.
Und dann kam Corona…
Richtig, dann kam Corona. Das hat viel verändert. In den Hochphasen der Pandemie bin ich nicht oft zum Zeichnen gekommen, es wurde einfach jede freie Hand gebraucht. Wir alle verschwanden hinter Kitteln und Masken, die Arbeitsabläufe wurden schneller, die Arbeit noch intensiver.
Als es wieder ein wenig ruhiger wurde, habe ich mir dann die Zeit genommen und das Erlebte auf die Leinwand gebracht. So habe ich vieles im Nachhinein auch verarbeitet.
Daraus sind Gemälde entstanden, die ein Stück Zeitgeschichte zeigen. Sie verbildlichen den Klinikalltag in der Coronapandemie auf künstlerische Weise. Was kann Ihre Kunst darstellen, was Medienbeiträge nicht können?
Ich glaube, ein großer Unterschied meiner Bilder zu den vielen Fotografien von Intensivstationen, die wir tagtäglich in den Medien sehen, ist, dass ich als Intensiv-Pfleger mittendrin bin. Ich bin ein Teil des Teams und dieser ganz persönliche Zugang spiegelt sich auch in den Bildern wider. Die intimen Momente, die ich mit Farbe und Pinsel auf der Leinwand festhalte, sind während meiner alltäglichen Arbeit entstanden.
Meine eigenen Gefühle, meine Stimmungen und Gedanken fließen in die Kunst mit ein. Dadurch gehe ich beim Malen mit einem anderen Blickwinkel an die Motive heran. Die Kunst bildet nicht nur einfach etwas Gesehenes ab, sondern gibt den Bildern mehr Tiefe. Durch das Gemalte strahlen die Bilder mehr Ruhe aus als gewöhnliche Fotografien. Sie geben dem Betrachter mehr Zeit, das Gesehene wirken zu lassen und sie erlauben es auch, näher hinzuschauen. Man nimmt das Bild also viel bewusster wahr und auch, wenn die Formen und Gesichter teilweise sehr abstrakt dargestellt sind, vermitteln sie die Stimmung doch eindrücklicher.
Für Ihre Gemälde fotografieren Sie auch Patientinnen und Patienten. Ist dies nicht eine Grenzüberschreitung? Schließlich können die Kranken auf der Intensivstation nicht immer ihr Einverständnis dafür geben.
Diese eine Frage habe ich mir schon sehr oft selbst gestellt und das ist etwas, das mich nach wie vor immer wieder beschäftigt, wenn ich auf der Intensivstation fotografiere. Menschen, die schutzlos – zum Beispiel in einem komatösen Zustand – bei uns sind und die sich nicht äußern können, müssen unbedingt geschützt werden.
An oberster Stelle steht deshalb immer, bestimmte Grenzen einzuhalten, die Intimsphäre und auch die Würde des Patienten zu wahren. Auf meinen Gemälden sind deshalb auch nie Gesichter zu erkennen, die Anonymität bleibt stets gewahrt.
Darf man Corona-Patienten so zeigen - im Sinne der Kunst?
Oft hadere ich beim Entstehungsprozess eines Gemäldes mit mir selbst: Darf ich den Patienten, so wie er dort liegt, nun darstellen oder nicht? In welchem künstlerischen Kontext darf ich dieses Bild machen? Es ist auch schwierig für mich, mir bei solchen Fragen Rat zu holen, denn dass ein Krankenpfleger seinen Alltag in Gemälden festhält, ist nun mal nicht so alltäglich. (schmunzelt)
Tatsächlich möchte ich aber auch gar nicht die Patienten in den Mittelpunkt meiner Bilder stellen, sondern das Leben auf der Intensivstation an sich. Ich möchte bei meinen Bildern nicht in den Fokus stellen, wie dramatisch es teilweise bei uns auf der Intensivstation zugeht. Ich möchte einfach mit meiner Kunst zeigen, was ich erlebe. Und in Zeiten von Corona waren das nun mal viele Situationen und Momente auf der Intensivstation, die sehr ernst und heikel waren – das ist der Klinikalltag in Zeiten der Pandemie.
Durch Ihre Darstellungen der Arbeit auf einer Intensivstation hat Ihre Kunst eine ganz neue Öffentlichkeit erfahren. Plötzlich interessieren sich viel mehr Menschen für Ihre Gemälde. Wie fühlt es sich an, dass ausgerechnet Corona Sie als Künstler weitergebracht hat?
Es ist ein für mich innerer Konflikt, den ich noch nicht so richtig greifen kann. Auf der einen Seite freuen mich die große Resonanz und die vielen positiven Nachrichten, die mich erreichen. Ich hätte nie damit gerechnet, dass meine Bilder, die meinen Alltag im Krankenhaus zeigen, einmal so viele Menschen beschäftigen würden. Schon vor Corona habe ich viele Krankenhaus-Motive gemalt und ich war mir oft unsicher, wie viel ich den Betrachtern zumuten kann.
Als sich mit der Coronapandemie die Berichte und Fotos aus Krankenhäusern häuften, habe ich zwischenzeitlich sogar aufgehört zu malen. Irgendwie kam es mir nicht richtig vor, mit meiner Kunst die Masse an Bildern aus den Krankenhäusern noch zu vergrößern. Ich wollte kein politisches Statement mit ihnen setzen oder irgendwie den Anschein erwecken, aus der Pandemie einen Profit schlagen zu wollen.
Damals habe ich dann mit meinen Kolleginnen und Kollegen über diese Gedanken gesprochen und sie um Rat gefragt. Sie haben mir nahegelegt, einfach weiterzumachen, wenn ich den Drang dazu verspüre – einfach das zu tun, was ich immer schon getan habe. Ich habe dann wieder angefangen, für mich selbst zu malen und das hat sich gut und natürlich angefühlt. Im Nachhinein glaube ich, dass ich durch das Zeichnen auch vieles verarbeitete habe, was ich während der Pandemie auf der Intensivstation erlebt habe.
Aktuell hängen viele Ihrer Gemälde auf den Fluren des Weimarer Krankenhauses. Werden Sie diese vielleicht gegen andere Motive austauschen, wenn Corona endlich vorbei ist? Was kommt danach?
Natürlich hoffe ich, dass es irgendwann auch wieder Motive gibt, die nicht von der Coronapandemie geprägt sind. Dass ich wieder Bilder male, auf denen die Menschen nicht konsequent Maske tragen und alles sich etwas normalisiert. Und ich bin sehr gespannt, wie sich die Kunst dann wieder verändert – als Reaktion auf den veränderten Alltag.
Ich habe zwar noch genug Material, um ewig weitermachen zu können, aber auch andere Ideen und Motive schwirren bereits in meinem Kopf herum, die ich gern umsetzen würde – wenn ich den Raum und die Zeit dafür habe. Auch abseits des Krankenhauses, andere Themen folgen definitiv!
Vielen Dank für das Interview.