Exklusiv Thüringer Brombeer-Koalition will Amnestie für Corona-Verfahren

Trotz Sahra Wagenknecht: Mario Voigt und Katja Wolf bilden in Thüringen eine Brombeer-Koalition
Trotz Sahra Wagenknecht: CDU-Landeschef Mario Voigt und seine BSW-Amtskollegin Katja Wolf bilden in Thüringen eine Brombeer-Koalition mit der SPD
© Martin Schutt / dpa / DPA
CDU, BSW und SPD berücksichtigen im Thüringer Koalitionsvertrag nur zum Teil die Forderungen von Sahra Wagenknecht. Die Parteichefin gibt sich dennoch zufrieden.

Nach der Bildung einer gemeinsamen Landesregierung in Thüringen planen CDU, BSW und SPD eine Amnestie für Unternehmen und Bürger, die während der Coronapandemie gegen Schutzmaßnahmen verstoßen haben. "Noch offene oder noch anhängige Bußgeldverfahren sollen nicht weiterverfolgt werden beziehungsweise deren Einstellung angeregt werden", heißt es nach Informationen des stern im final verhandelten Koalitionsvertrag.

Die künftige Landesregierung soll prüfen, "ob ein Amnestie-Gesetz in diesem Zusammenhang notwendig" sei: "Wir wollen einen Schlussstrich unter die juristischen Folgen der Coronapandemie ziehen und damit empfundene Ungerechtigkeiten abmildern und für Rechtsfrieden sorgen." Vorbild ist ein entsprechender Beschluss der bayerischen Landesregierung.

Die Amnestie war eine der Kernforderungen der BSW-Bundesvorsitzenden Sahra Wagenknecht. Sie hatte das vor gut einem Monat vorgestellte Sondierungspapier als "Fehler" bezeichnet. In der Folge kam es zum offenen Machtkampf zwischen der Parteispitze in Berlin und der Führung des Thüringer Landesverbands.

Der Bundesvorstand erklärte in einem Beschluss, dass sich das BSW nur nach deutlichen Nachbesserungen an einer Regierung beteiligen könne. Dabei gehe es insbesondere um die sogenannten Friedenspositionen der Partei, aber auch um landespolitische Anliegen. 

Im aktuellen Vertragspapier machen CDU und SPD allerdings kaum zusätzliche außenpolitische Zugeständnisse an Wagenknecht. Weder werden die Waffenlieferungen an die Ukraine noch die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland infrage gestellt. Die von der Parteichefin harsch kritisierte Präambel bleibt unverändert. 

Nur in dem Vertragskapitel, in dem es um die Europapolitik geht, wird in einer Formulierung zur außenpolitischen Situation noch einmal auf das BSW zugegangen und die Stationierung der US-Raketen kritisch hinterfragt. Zudem versprechen die Parteien, an den Hochschulen zusätzliche Lehr- und Forschungskapazitäten für Friedens- und Konfliktforschungen einzurichten.

Wagenknecht lenkte offenbar wegen Neuwahl des Bundestags ein

Obwohl damit das von Wagenknecht gestellte Ultimatum nicht erfüllt ist, hat die Parteivorsitzende bereits Zustimmung signalisiert. Angesichts des Scheiterns der Ampel-Bundesregierung und der vorgezogenen Bundestagswahl kann sie keine weitere Eskalation in Thüringen riskieren, zumal die Werte der Partei sinken. In der jüngsten Umfrage von Forsa steht das BSW nur noch bei 4 Prozent. Auch die persönlichen Werte der Parteivorsitzenden haben gelitten.

Wagenknecht bemüht sich nun umso mehr, die Ergebnisse zum eigenen Erfolg zu erklären. Dass der Koalitionsvertrag "wesentlich konkreter und besser" als das Sondierungspapier ausfalle, sei vor allem dem Druck "aus der Thüringer Basis und der Bundespartei" zu verdanken, sagte sie dem stern.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Zudem kann sie darauf verweisen, dass CDU und BSW eine härtere Migrationspolitik gegen die SPD durchgesetzt haben. Eine zentrale Landesausländerbehörde soll die Aufnahme und Rückführung der Flüchtlinge steuern, aber auch die Integration und die Anerkennung von Berufsabschlüssen regeln. Die Koalition will zudem Asylverfahren und Abschiebungen beschleunigen sowie eigene Abschiebe-Haftplätze einrichten. Die Bezahlkarte für Asylbewerber soll es landesweit geben.

Nach den Äußerungen Wagenknechts dürfte der sogenannten Brombeer-Koalition in Thüringen nur noch wenig im Weg stehen. Der Vertrag wird am Freitagnachmittag in Erfurt vorgestellt und muss danach noch vom Landesausschuss der CDU und von einem Landesparteitag des BSW gebilligt werden. Die SPD plant eine Online-Befragung ihrer Mitglieder. 

Wolf soll Finanzministerium erhalten

Die Wahl von CDU-Landeschef Mario Voigt zum Ministerpräsidenten ist für Mitte Dezember geplant. Da die Koalition nur über 44 der 88 Stimmen im Landtag verfügt, wird damit gerechnet, dass der Regierungschef erst im dritten Wahlgang mit relativer Mehrheit bestimmt wird. Theoretisch könnte selbst dann die Wahl in einem Patt enden, falls die AfD in der geheimen Abstimmung den angekündigten Linke-Kandidaten unterstützen würde.

Unabhängig davon müssen die drei Partner noch die Kabinettsliste beraten. Die Zahl der Ministerien wird nicht verändert, allerdings dürfte es neue Zuschnitte geben. BSW-Landeschefin Katja Wolf soll Vizeministerpräsidentin und Finanzministerin werden. Unklar ist derzeit, ob der SPD-Landesvorsitzende Georg Maier Innenminister bleibt oder das Wirtschaftsressort übernimmt.