Stereotype Gott in Frankreich und Regen in Deutschland

In der Politik arbeiten beide Länder eng zusammen. Doch bis heute halten sich hartnäckig Klischees im Bild der Deutschen von den Franzosen - und natürlich umgekehrt.

Leben wie Gott in Frankreich, Rotwein, Champagner, Haute Couture und 365 Sorten Käse - irgendwie scheint Frankreich in der Vorstellung der Deutschen immer noch eine Art verlorenes Paradies zu sein. Das Genießerische der Nachbarn, ihr "savoir vivre" und die Esskultur üben eine große Faszination auf die Deutschen aus. Wie wäre es sonst zu erklären, dass jährlich rund zehn Millionen Deutsche nach Frankreich reisen? Bei aller Reiselust ist für viele Deutsche Frankreich einer Umfrage zufolge jedoch Terra incognita geblieben.

Umgekehrt ist Deutschland nicht das bevorzugte Reiseziel der Franzosen. Nur etwa 1,5 Millionen zieht es im Jahr auf die andere Seite des Rheins. "In Deutschland ist es kalt, und es regnet ständig", ist immer noch die häufigste Antwort, fragt man Franzosen im Alltag. Zumindest die Pariser lassen sich noch vom "Mythos Berlin" anlocken, pflegen die Erinnerung an Marlene Dietrich und Romy Schneider.

Wiedervereinigung als entscheidende Zäsur


Längst hat sich das Deutschland-Bild der Franzosen normalisiert, das einst von romantischen und militaristischen Klischees gespickt war. Die entscheidende Zäsur bildete die Wiedervereinigung. Das Streben nach Freiheit sprach den Franzosen aus dem Herzen, von anfänglichen Ängsten vor einem neuen Großdeutschland ist nichts mehr zu spüren.

Der Nachbar jenseits des Rheins beunruhigt und erstaunt dennoch immer wieder. Zum Beispiel, wenn es um die Wirtschaftskrise und die Bildungsmisere geht. "Die Deutschen sind doch tatkräftig und schaffen alles mit Geschick und Organisationstalent. Was ist daraus geworden?" fragt der 33-jährige Jean-Pascal Bazin wie viele Pariser. Mit einem spöttischen Unterton sprechen die Deutschen häufig von Frankreich als der "Grande Nation". Die Franzosen werden als sympathisch empfunden, aber auch von vielen als elitär. Vielleicht ist es aber auch Bewunderung und ein wenig Neid auf den so selbstbewussten französischen Nachbarn. Dieser scheint überhaupt ein entspannteres Verhältnis zur Wirklichkeit des Lebens zu haben. So schrieb die berühmte Deutschland-Kennerin Madame de Staël bereits 1813: "Das Wort "unmöglich" hört man hundertmal in Deutschland, gegen einmal in Frankreich."

In der Politik arbeiten beide Länder heute eng zusammen, im alltäglichen Leben entfremden sie sich voneinander. Immer weniger Deutsche wollen Französisch lernen. Umgekehrt ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Schüler in Frankreich, die Deutsch lernen, dramatisch gesunken. In Frankreich ist längst Englisch an erste Stelle gerückt. Auch Spanisch hat Deutsch weit überrundet. "Die Spanier haben massiv Lehrer geschickt, während Stellen für Deutschlehrer in Frankreich abgebaut werden", wird besorgt im Umfeld der deutschen Botschaft in Paris eingeräumt. Bei den besonderen Neigungen der Deutschen für andere Länder steht Frankreich erst an dritter Stelle. Italien ist Spitzenreiter, gefolgt von Spanien.

Bis heute halten sich hartnäckig Klischees im Bild der Deutschen von den Franzosen. "Sause in Paris", titelte etwa eine große deutsche Tageszeitung, als der Streit um die Reise der Bundestagsabgeordneten nach Versailles zur Feier des 40. Jahrestags des Elysée-Vertrags ausbrach. Da schwingt die Vorstellung von Montmartre, Moulin Rouge und einer gewissen Frivolität mit. Der Franzose als Lebenskünstler - mit diesem Bild spielen aber auch französische Unternehmen bei der Werbung für ihre Produkte in Deutschland.

Für Frankreich konstatiert Kurt Brenner von der Föderation Deutsch-Französischer Häuser in Montpellier: "Die Unkenntnis über das heutige Deutschland wächst." Brenner klagt: "Hitler und gerade noch Michael Schumacher fallen den Schülern ein." Der Hälfte der Deutschen fällt Umfragen zufolge bei der Frage nach berühmten Franzosen der Gegenwart gar kein Name ein. Ein kleiner Teil weiß dann aber doch Jacques Chirac, François Mitterrand und Gérard Depardieu zu nennen.

Hintergrund: Der Elysée-Vertrag


Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle im Pariser Elysée-Palast den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Das als Elysée-Vertrag in die Geschichte eingegangene Abkommen über die deutsch-französische Zusammenarbeit hat die Nachbarn nach langer "Erbfeindschaft" und blutigen Kriegen seit 1963 immer mehr zusammengeführt.

In dem Vertrag verpflichten sich beide Regierungen zu Konsultationen in allen wesentlichen Fragen der Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik. Beide Seiten setzten Koordinatoren für die deutsch-französische Zusammenarbeit sowie Bevollmächtigte für kulturelle Angelegenheiten ein. Der Unterzeichnung des am 2. Juli 1963 in Kraft getretenen Vertrages folgte am 5. Juli 1963 die Unterschrift unter das Deutsch-Französische Jugendwerk.

Treffen in Bad Kreuznach 1958


Als eigentliches Geburtsjahr des Elysée-Vertrages gilt das Jahr 1958, als der "Alte aus Rhöndorf" und der General im lothringischen Colombey-les-deux-Églises erstmals zusammenkamen. Noch im selben Jahr trafen sie sich in Bad Kreuznach, wo sie sich auf eine Institutionalisierung der besonderen Beziehungen beider Länder einigten.

Der Bundestag setzte dem Abkommen 1963 vor seiner Verabschiedung jedoch eine Präambel voraus, in der klar gestellt wurde, dass der Vertrag die Zusammenarbeit in der NATO oder die Partnerschaft mit den USA nicht beeinträchtige. De Gaulle war enttäuscht über das Vorwort; er sah den Vertrag dadurch als verwässert an.

1988 ergänzten Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand den Elysée-Vertrag mit der Einsetzung von Räten für die Abstimmung von Verteidigungsinteressen und der Wirtschafts- und Währungspolitik. Der derzeitige Staatspräsident Jacques Chirac will nun einen neuen Grundsatzvertrag ausarbeiten. Ob der Elysée-Vertrag ersetzt oder lediglich ergänzt werden soll, ist noch unklar.

DPA
Birthe Blechschmidt und Dorothea Hülsmeier

PRODUKTE & TIPPS