Viele Jahre stand er im Scheinwerferlicht. Der beinamputierte Mann mit den Karbon-Prothesen, der dennoch ein weltberühmter Sportstar wurde, genoss sichtlich den großen Auftritt auf Bühnen und rotem Teppich. Der "Blade Runner", wie Oscar Pistorius genannt wurde, ließ sich gerne fotografieren und interviewen.
Oft begleiteten ihn schöne Frauen. Am Freitag lernte die Welt einen anderen Oscar Pistorius kennen - einen tief bedrückten, aufgewühlten Mann, der einen Mord begangen haben soll. #link;http://www.stern.de/panorama/mordanklage-gegen-paralympics-star-pistorius-weint-und-zittert-vor-gericht-1971825.html;Er soll seine Freundin in der Nacht zum Donnerstag erschossen haben. # Als das südafrikanische Sportidol am Freitagmorgen vor dem Gericht in Pretoria ankam, verhüllte er seinen Kopf mit einer Jacke. Zeitweise hielt ein mitfühlender Polizist schützend ein Buch vor das Gesicht des Athleten, um Fotografen und Kameraleute an Aufnahmen zu hindern. Später im Gericht übermannten den Beschuldigten im dunkelblauen Anzug vollends die Emotionen.
Als er seine Schwester Aimee und seinen Vaters Henke sah, brach er in Tränen aus. Schwer atmend verfolgte er dann das juristische Procedere. "Er ist aufgewühlt, aber es geht ihm gut", hatte sein Anwalt zuvor gesagt. Auch wenn er kein einziges Wort sagte, wirkte Pistorius eher wie ein Mann vor dem Zusammenbruch.
Vielleicht demonstrierte der Trubel vor dem Gerichtsgebäude und im voll besetzten Saal dem 26-Jährigen endgültig, dass seine schillernde Karriere als behinderter Superstar wohl für immer vorbei ist. "Ein Leben liegt in Scherben ... und seine glitzernde Zukunft ist vorbei. Der tiefe Fall von Oscar Pistorius scheint zu verheerend, um sich davon noch einmal zu erholen", kommentierte die "Pretoria News".
Noch sind die genauen Umstände nicht bekannt, unter denen er in der Nacht zum Donnerstag seine Freundin Reeva Steenkamp (30) mit mehreren Schüssen tödlich traf. Aber es gab an diesem Prozesstag manchen Hinweis, dass die Verteidigung inzwischen nur noch nach mildernden Umständen sucht.
"Tiefes Mitgefühl" mit der Familie des Opfers
Die Anwälte wollen vor allem verhindern, dass Pistorius des "vorsätzlichen Mordes" angeklagt wird. Denn das könnte eine lebenslange Strafe für den Täter bedeuten, eine vorzeitige Entlassung vor 15 Jahren wäre nach Ansicht von Juristen sehr unwahrscheinlich.
Pistorius wies nach dem Gerichtstermin die gegen ihn erhobenen Vorwürfe "auf das Schärfste zurück“. Der Sportler drückte in der Erklärung sein tiefes Mitgefühl für die Familie der getöteten jungen Frau aus. "All unsere Gedanken müssen heute bei der Familie und den Freunden von Reeva Steenkampf sein", hieß es in der Erklärung.
Der Anwalt von Pistorius, Kenny Oldwage, will, dass sein Mandant gegen eine Kaution aus dem Polizeigewahrsam entlassen wird. Der 26 Jahre alte Profisportler soll südafrikanischen Medienberichten zufolge angegeben haben, er habe aus Versehen seine Freundin erschossen. Er sei irrtümlich von einem Einbrecher ausgegangen. Sollte sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage durchsetzen, steht Südafrika wohl vor einem spektakulären Prozess - vielleicht vergleichbar mit dem Verfahren gegen den ebenfalls mordverdächtigen American-Football-Star O. J. Simpson im Jahr 1994.
Bei dem Pistorius-Prozess würde sicher auch deutlich, dass der beliebte Vorzeigeathlet und angeblich erste Dollar-Millionär des Behindertensports Seiten hat, die der Öffentlichkeit wenig bekannt waren. Denn in Polizeiakten finden sich auch Belege für einen recht extrovertierten Lebensstil, für seine Freude an Schusswaffen, für Eifersuchtsdramen und heftige Auseinandersetzungen mit Nebenbuhlern, sowie für Unfälle mit Motorrädern und Booten, bei denen Alkohol im Spiel gewesen sein soll.
Die meisten Südafrikaner wirken fassungslos angesichts des tiefen Falls dieses inspirierenden Athleten, der zeigte, wie man Widerstände überwindet und was mit Disziplin und Fleiß erreicht werden kann. "Wir sind sprachlos, wir können es immer noch nicht glauben", kommentierte die "Times".