Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat zu einer massenhaften Flucht geführt. Mehr als 1,7 Millionen Menschen sind bereits nach Polen geflüchtet, auch andere an die Ukraine angrenzende Länder haben Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen. Bis nach Israel hat dagegen die Flucht von Lesia Orshoko und Alona Chugai geführt – es ist die Fortsetzung einer Rettungsaktion, die im Zweiten Weltkrieg ihren Anfang nahm und zu einer lebenslangen Verbindung führte.
Während des Holocausts wurden Juden in der Ukraine von den deutschen Besatzern regelrecht abgeschlachtet. Von den 2,7 Millionen Juden ermordeten die Nazis im Holocaust rund 1,5 Millionen. Nach Angaben der Uni Augsburg flüchteten rund 900.000 gemeinsam mit der Roten Armee, nur 100.000 Juden überlebten das Grauen in Verstecken in der Ukraine. Eine der Überlebenden war Fanya Bass, die von Maria Blishchick, der Großmutter von Lesia Orshoko und Alona Chugai, versteckt wurde. Fast ein Jahr hatte Fanya Bass auf der Flucht vor den Nazis in einem Wald gelebt, wo sie von der Familie Blishchick 1943 gefunden wurde, berichtet die "Jewish News". "Sie haben sie in ihr Haus aufgenommen und sie wie eine eigene Tochter behandelt", berichtet Bass‘ Enkelin Sharon Bass der Zeitung. Hätten die Nazis rausgefunden, dass die Blishchicks einem jüdischen Mädchen Unterschlupf gewähren, wäre das ihr sicheres Todesurteil gewesen.
Familien blieben nach dem Weltkrieg in Kontakt
Bis zum Ende des Krieges aber blieb Fanya Bass unentdeckt, nach dem Krieg wanderte auch sie nach Israel aus und gründete eine Familie, die jetzt den Enkelinnen von Maria Blishchick eine neue Heimat bietet. Nach dem Krieg verloren sich Fanya und Maria aus den Augen, Mitte der 1990er aber, nahmen sie wieder Kontakt zueinander auf. Seitdem sind die Familien im regelmäßigen Austausch und als der Krieg in der Ukraine ausbrach, sah sich die Familie von Sharon Bass verpflichtet ihren ukrainischen Freunden zu helfen. "Wir haben mehrfach miteinander gesprochen, sie hatten Angst und wollten gerne nach Israel kommen", erzählte Sharon Boss den "Jewish News". "Wir Juden sagen, dass wenn du etwas Gutes tust, wird das irgendwann auch zu dir zurückkommen. Ich habe mich einfach verpflichtet gefühlt, den beiden zu helfen und die Schuld zu begleichen", so Bass. Sie und ihre Familie haben Lesia in ihrem Haus in Kiryat Ono aufgenommen – einer Stadt nur wenige Kilometer westlich von Tel Aviv. Alona lebt derweil bei Bass‘ Eltern nur wenige Autominuten entfernt in Petach Tikwa. Bini Guttmann, Präsident der Europäischen Union jüdischer Studenten, teilte ein Foto der beiden bei der Ankunft in Tel Aviv.
Bemühen um dauerhaftes Visa für Ukrainerinnen
Bis die beiden Familien vereint werden konnten, dauerte es jedoch ein wenig. Es sei unklar gewesen, ob die beiden Ukrainerinnen sofort hätten nach Israel kommen können, obwohl sie jeweils schon fünf Jahre in dem Land als Nachfahren einer "Gerechten unter den Völkern" gearbeitet haben. Den Ehrentitel "Gerechte unter den Völkern" erhalten nichtjüdische Einzelpersonen, die unter der Nazi-Herrschaft Juden vor der Ermordung gerettet haben – so auch Maria Blishchick. Nachdem aber die Bass-Familie eine öffentliche Kampagne startete und Sharon Bass die israelische Innenbehörde kontaktierte, erhielten Lesia Orshoko und Alona Chugai zwei Visa und kamen in der Vorwoche von Riwne im Nordwesten der Ukraine über Warschau und München nach Israel, mussten aber Teile der Familie zurücklassen. Laut einem Bericht der "Washington Post" versucht Sharon Bass derzeit, weitere Familienmitglieder nach Israel in Sicherheit zu holen.
Wie lange Lasia Orshoko und Alona Chugai in Israel bleiben, ist angesichts des Krieges vollkommen unklar. Sharon Bass und ihre Familie aber setzen sich weiterhin für die beiden Ukrainerinnen ein. "Wir versuchen, eine dauerhafte Bleibeerlaubnis zu bekommen. Es weiß niemand, ob sie irgendwas haben werden, wohin sie zurückkehren können." Nur Fanya Bass verpasst die Heldentat ihrer Familie: Sie starb vor drei Jahren im Alter von 97 Jahren.
Quellen: Jewish News, Jewish Press, Uni Augsburg, Washington Post