Meredith Kercher war in die malerische Stadt Perugia inmitten der sanften Hügellandschaft Umbriens gekommen, um an der berühmten Fremdenuniversität ein Auslandsjahr zu absolvieren. Die britische Studentin teilte sich mit Kommilitoninnen ein Häuschen nicht weit vom Zentrum. Am 2. November vor einem Jahr wurde ihr Leichnam nackt, nur mit einer Daunendecke bedeckt, in ihrem Bett aufgefunden. Die damals 22 Jahre alte Meredith soll in der Nacht auf Allerseelen Opfer einer tödlichen Mischung aus Sex, Drogen und Gewalt geworden sein. Als sie sich wehrte, habe man ihr mit mehreren Messerstichen die Kehle durchstochen. Weit weg von ihrer Heimat verblutete Meredith allein in ihrem WG-Zimmer.
Der Verdacht fiel auf ihre Mitbewohnerin Amanda K. Die Studentin aus Seattle war durch düstere Geschichten und befremdliche Fotos im Internet aufgefallen. Zudem berichteten Merediths Freundinnen, die beiden hätten sich oft gestritten. Die Befunde der Spurensicherung erhärteten den Verdacht. Seit einem Jahr sitzt Amanda in Perugia in U-Haft, genauso wie ihr damaliger Freund, der Student Raffaele S., 24, und Rudy G., 21, von der Elfenbeinküste. Alle drei Angeklagten beteuern ihre Unschuld.
Amanda wird wie ein Star behandelt
Der Mordfall fasziniert die Menschen in Italien nicht nur wegen des scheinbar heilen Umfelds der Universität und des idyllischen Schauplatzes in Umbrien. Die attraktive Amanda mit den blitzblauen Augen und dem langen glatten Haar hat das Publikum längst in ihren Bann gezogen. Sie erhält Fanpost und Heiratsanträge ins Gefängnis, wird in Internet-Blogs und TV-Talkshows wie ein Star gehandelt. Jedes Detail aus ihrem Leben saugen die Medien gierig auf.
So erfuhr die Öffentlichkeit zuletzt Einzelheiten aus den Gesprächen mit ihren Eltern während der Besuchszeiten. Sie habe keine Träume mehr, hieß es, nur diesen einen, der immer wieder kehre, dass der Richter verkündet, sie müsse im Gefängnis bleiben. "Um zu überleben, muss ich mich auf meine Sachen konzentrieren", vertraute Amanda ihren Eltern an. Man erfuhr von den Avancen einer Mitgefangenen, vom Gitarrenunterricht, vom Chinesisch-Lernen, von ihrem Eifer beim Schreiben und dass sie ihre Erfahrungen im Gefängnis später in einem Buch veröffentlichen wolle. All das erfüllt einen präzisen Zweck: Es soll helfen, das "Engelsgesicht", wie die Presse sie mittlerweile nennt, als ganz normales Mädchen erscheinen zu lassen und nicht als die Mörderin, für die die Staatsanwaltschaft sie hält.
Amanda soll mehrfach zugestochen haben
Laut Anklage haben Amanda, Raffaele und Rudy in der Nacht auf Allerseelen Meredith zuhause überrascht. Die drei hätten die Britin in eine Sexorgie hineinziehen wollen. Als sie Widerstand leistete, sollen sie ihr Opfer auf die Knie gezwungen haben. Nach der Theorie des Staatsanwalts Giuliano Mignini haben Raffaele und Rudy Meredith an den Armen festgehalten, während Amanda ihrer Mitbewohnerin ein Küchenmesser an die Kehle hielt. Rudy soll versucht haben, Meredith zu vergewaltigen. Als Meredith sich befreien wollte, sei es zum Handgemenge gekommen und Amanda habe mehrfach zugestochen.
Mignini begründet seine Mordanklage mit den Befunden der DNA-Analyse. Das Messer, das in Raffaeles Wohnung gefunden wurde, trägt Gen-Spuren von Meredith an der Klinge und Abdrücke von Amanda am Griff. Spuren von Raffaele konnten auf dem Büstenhalter Merediths nachgewiesen werden. Auf einem Kissen unter der Leiche fanden die Ermittler Fingerabdrücke von Rudy.
Hang zu Sex, Drogen und Gewaltfantasien
Andererseits passt für den Staatsanwalt die Bluttat zum Persönlichkeitsbild der Angeklagten. Gemeint ist ein Hang zu Sex, Drogen und Gewaltfantasien. Amanda hatte zuvor eine selbstverfasste Geschichte über einen Mord im Studentenmilieu ins Internet gestellt. Bei Raffaele, der leidenschaftlich Messer sammelte, fanden die Ermittler Manga-Comics mit brutal-erotischem Inhalt. Laut Staatsanwalt soll Rudy dem Drängen Amandas nachgegeben haben, Meredith zu vergewaltigen. Rudy habe Amanda damals begehrt und es ihr recht machen wollen. Amanda habe Meredith in die Sexorgie hineinziehen wollen, um sie für ihr Verhalten zu bestrafen, über das Amanda sich früher oft beschwert haben soll.
Nach Auffassung des Staatsanwalts sei der Mord geplant worden: "Für Persönlichkeiten, die auf morbide Weise von der Mischung aus Sex und Gewalt fasziniert sind, ist es durchaus plausibel, dass sie für ihre Tat die Nacht zwischen Halloween und Allerseelen gewählt haben. Das war eine Gelegenheit, die sie nicht verpassen wollten." Mignini forderte für Rudy eine lebenslange Haftstrafe und für Amanda und Raffaele die Eröffnung der Hauptverhandlung vor einem Schwurgericht.
Verschiedene Versionen der Nacht
Amanda hatte sich in Widersprüche verstrickt. Sie hatte erst einen Barbesitzer aus dem Kongo als Mörder angezeigt, der daraufhin vorübergehend festgenommen wurde. Sie widerrief jedoch ihre Aussage und gab später an, dass sie die Mordnacht mit Raffaele in dessen Wohnung verbracht habe. Sie hätten Joints geraucht und sich geliebt. Amandas Verteidiger behaupten jetzt, ihre Mandantin sei ohne Beisein eines Anwalts von der italienischen Polizei verhört und zu der ersten falschen Aussage gedrängt worden. Genauso wie die Anwälte von Raffaele wollen sie die Schuld allein auf Rudy schieben.
Auch Rudy gab verschiedene Versionen an. Nach der Bluttat war er untergetaucht und wurde drei Wochen später in Deutschland gefasst. Er ist am stärksten belastet, weil er mit Sicherheit in der Mordnacht in der Wohnung gewesen ist. Rudys Version klingt für die Ermittler zudem wenig plausibel. Er sagte, er habe Merediths Schreie vom Badezimmer aus gehört, sei ihr zu Hilfe geeilt und habe mit dem Mörder gekämpft. Er hatte stets offen gelassen, wer der Mörder ist, und gab erst zuletzt an, dass Raffaele der Täter sei und er Amandas Stimme vorm Haus gehört habe.
Urteil wird mit Spannung erwartet
Für Amandas Unschuld macht indes ein Komitee aus Amerika mobil. Teddybären, T-Shirts und Espressotassen mit der Aufschrift "Free Amanda" sind bereits im Umlauf. Angeführt von der Anwältin und Nbc-TV-Kommentatorin Anne Bremner greifen die "Friends of Amanda" die italienische Justiz an. Der Vorwurf lautet Fahrlässigkeit bei der Spurensicherung. Die anderen großen Networks wie ABC und CBC behaupten ebenso, die Spuren seien nicht verwendbar. Kritik am Verfahren äußerte selbst die seriöse New York Times. Ein hoher Richter aus Amandas Heimatstadt Seattle behauptete, Amanda würde ungerecht behandelt und verlangt eine Verlegung des Prozesses. Mit dem Fall beschäftigt sich nun Italiens höchstes Richter-Organ.
In Perugia wird das Urteil am Dienstag indes mit Spannung erwartet. Die Richter müssen gegen Rudy Guede, der ein abgekürztes Verfahren beantragt hatte, ein Urteil fällen und entscheiden, wie es für Amanda und Raffaele weitergeht: Freispruch oder Eröffnung einer Hauptverhandlung vor einem Schwurgericht.