Großbritannien Gedränge im Gefängnis

Wenn auf 100 000 Bürger 141 Gefangene kommen, muss die Rede nicht zwangsläufig von Libyen, Malaysia oder Birma sein, denn dort ist die Sträflingsrate viel niedriger. Den einsamen "Inhaftierungsrekord" in der Europäischen Union hält Großbritannien.

Besonders fiese Bösewichter finden sich in den Krimis von Edgar Wallace im finsteren Dartmoor hinter Schloss und Riegel wieder. Der Ruf des zu Beginn des 19. Jahrhunderts gebauten Gefängnisses, inmitten von Moor und Heide in einem abgelegenen Gebiet der Grafschaft Devon gelegen, hat sich im Lauf der Geschichte nicht zum Guten gewendet. Dartmoor ist zwar ein besonders schlimmes Beispiel für den Zustand englischer Strafanstalten, doch auch allgemein betrachtet ist die Lage eher düster: Ein Großteil der Gefängnisse ist chronisch überbelegt.

Nach jüngsten offiziellen Angaben sitzen derzeit gut 74 500 Frauen und Männer in England und Wales - Schottland hat ein eigenes Justizsystem - hinter schwedischen Gardinen, so viele wie nie zuvor. Damit kommen auf 100 000 Bürger 141 Gefangene: Das ist die höchste Sträflingsrate nicht nur in der Europäischen Union, sie übertrifft nach einem BBC-Bericht auch Länder wie Libyen, Malaysia oder Birma. In Deutschland liegt diese Rate bei 98, in Frankreich bei 93.

Gefängnisse als "soziale Abfalleimer"

"Den Inhaftierungsrekord für das westliche Europa zu halten ist nichts, worauf man stolz sein könnte, besonders, weil die meisten nach der Entlassung wieder straffällig werden", sagt Juliet Lyons, Direktorin des Prison Reform Trust (PRT), eine gemeinnützige Organisation, die sich mit der Situation in britischen Haftanstalten befasst. "Unsere Gefängnisse sind zu sozialen Abfalleimern geworden." Angesichts der Zahlen müssten bei der Regierung die Alarmglocken schrillen, sagt Lyons.

Die Organisation macht die seit Jahren ständig härter werdenden Urteile vor allem der untergeordneten Gerichte für die Lage verantwortlich, nicht etwa die Kriminalitätsrate. Nach einer Studie im Auftrag des PRT werden heute in Großbritannien Täter drei Mal häufiger wegen geringfügiger Taten wie Diebstahl oder Fahren ohne Führerschein zu Haftstrafen verurteilt wie 1991. Die Gerichte würden von der Möglichkeit, Kleinkriminelle zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen, keinen Gebrauch machen, kritisiert die Organisation. Urteile über Gefängnisstrafen von mehr als vier Jahren hätten verglichen mit Anfang der 90er Jahre sogar um 60 Prozent zugenommen.

Ein Weg aus dem Dilemma, dass mittlerweile mehr als 80 der insgesamt 138 Gefängnisse offiziell überbelegt sind und sich Häftlinge das Leben nehmen, ist nicht in Sicht. Der britische Innenminister David Blunkett ist ein Verfechter harter Strafen. Den Selbstmord des Massenmörders und Arztes Harold Shipman etwa, der sich im Januar in seiner Zelle erhängte, kommentierte Blunkett mit den Worten, er sei versucht gewesen, "eine Flasche Schampus zu köpfen".

Routinemäßig erniedrigt und missbraucht

So ist auch fraglich, wann sich die Zustände in der finsteren Verwahranstalt Dartmoor ändern. Experten hatten es nach einer Inspektion als ein "Gefängnis, das die Zeit vergessen hat" bezeichnet. Dort würden Häftlinge noch immer routinemäßig erniedrigt und missbraucht. Für Bobby Cummines (52), der die Strafanstalt als Gefangener von innen kennen lernte, ist Dartmoor "etwas wie aus dem Film "Jurassic Park"" und sollte "mit dem Bulldozer niedergewalzt" werden.

DPA
Jörg Berendsmeier

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