Nach den Messerangriffen an der Hochschule Hamm-Lippstadt (HSHL) im westfälischen Hamm sprechen Polizei und Staatsanwaltschaft von einer "Amoktat". Vier Menschen, drei Frauen und ein Mann, wurden bei den Attacken am Freitagnachmittag schwer verletzt – für eine 30-jährige Frau gibt es nach Aussage des stellvertretenden Dortmunder Polizeipräsidenten Ralf Ziegler kaum noch Hoffnung: "Es ist mit dem Ableben zu rechnen", sagte er am Samstag auf einer Pressekonferenz. Der 34-jährige Tatverdächtige aus Hamm – ebenfalls Student der HSHL – wird in die Psychiatrie eingewiesen.
Polizei rekonstruiert Messerattacken an Hammer Hochschule
Unterdessen schreiten die Ermittlungen zur Tat voran, die Polizei konnte den Ablauf anhand von Spuren und Dutzenden Zeuginnen- und Zeugenaussagen fast lückenlos rekonstruieren:
Demnach lief der Mann mit zwei am selben Tag gekauften Küchenmessern bewaffnet in das Gebäude der Hammer Hochschule und stach wahllos auf andere Menschen ein. "Sein erstes Opfer war eine 22-jährige Frau, die nichtsahnend im Foyer gesessen hat", berichtete Staatsanwalt Henner Kruse. Anschließend habe der Mann einen 22-Jährigen angegriffen. Beide seien schwer, jedoch nicht lebensbedrohlich, verletzt worden. Einer ebenfalls 22-Jährigen sei wenig später "massiv" durch acht Messerstiche in den Bauch verletzt worden – eine Notoperation habe ihr Leben gerettet. In einem mit rund 100 Besucherinnen und Besuchern gefüllten Hörsaal habe der Mann danach mit den Worten "Jetzt bis du dran!" etliche Male auf die 30-Jährige eingestochen, mit deren Tod nun gerechnet wird. "Wir gehen davon aus, dass alle Opfer Zufallsopfer waren", so der Staatsanwalt. "Es ist von einer willkürlichen Vorgehensweise des Täters auszugehen", pflichtete ihm der Ermittlungsleiter Robert Herrmann bei.
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Nach der vierten Tat sei der Mann von Studierenden im Hörsaal überwältigt worden. "Ihnen gilt meine besondere Anerkennung, mein Respekt und mein Dank", sagte Polizeivizepräsident Ziegler. Sie hätten den Verdächtigen "sehr mutig und geistesgegenwärtig" gestoppt und damit womöglich zahlreiche weitere Opfer verhindert.
Hinweise auf psychische Erkrankung
Drei Minuten nach dem ersten Notruf habe der erste Streifenwagen die Hochschule erreicht. Sechs Minuten später, um 15.35 Uhr, sei die Festnahme des Mannes gemeldet worden. Bei der Festnahme habe er darum gebeten, erschossen zu werden, führte Staatsanwalt Kruse aus – ein erster Hinweis auf die psychische Erkrankung des Mannes. Insgesamt waren den Angaben zufolge mehr als 400 Polizistinnen und Polizisten, darunter auch Spezialeinheiten an der HSHL im Einsatz, dazu Rettungskräfte sowie Seelsorgerinnen und Seelsorger.
Die Ermittlungen gegen den 34-Jährigen laufen nun wegen mehrfachen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. "Wir befürchten, dass wir eine der Taten als vollendeten Mord qualifizieren müssen", sagte Staatsanwalt Kruse mit Blick auf die schwer verletzte 30-Jährige.
Der Beschuldigte habe die Taten eingeräumt. "Er habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen", schilderte Kruse und verwies auf die offenbar schwere psychische Erkrankung des Mannes. Dieser sei seit längerer Zeit in psychotherapeutischer Behandlung gewesen, dies war auch der Polizei bekannt. Zuletzt habe er sich nach einem Suizidversuch freiwillig stationär behandeln lassen, sich am Tag der Tat jedoch selbst aus der Klinik entlassen, weil er den Eindruck gehabt habe, das Personal vergifte ihn. Nach seiner Festnahme habe der Mann berichtet, dass er sich und seine Eltern von einer nicht näher benannten Gruppe mit dem Tod bedroht fühle. Auch an der Hochschule sei bekannt gewesen, dass er unter Verfolgungswahn leidet. Ein psychiatrischer Sachverständiger habe dem Beschuldigten im Gewahrsam eine paranoide Schizophrenie und eine "massive psychische Erkrankung" diagnostiziert. Die Unterbringung in der Psychiatrie wurde Kruse zufolge angeordnet. Hinweise auf eine politische oder religiöse Motivation des Verdächtigen gebe es nicht, so die Polizei. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob der Mann schuldfähig ist.
Die HSHL hat für Montag alle Lehrveranstaltungen abgesagt. "Nach den schrecklichen Ereignissen können und wollen wir am Montag nicht einfach mit dem Regulärbetrieb weitermachen, sondern einen Moment innehalten", teilte die Hochschule mit. Für Studierende werde der Campus als Ort zum Austauschen und Innehalten ab 10.00 Uhr geöffnet sein. Präsidium, Lehrende und Notfallseelsorgende stünden vor Ort zum Gespräch zur Verfügung. "Ebenso wird es einen Raum geben, in dem Ruhe zu einem stillen Moment für alle einlädt."
Quellen: Polizeipräsidium Dortmund (1), Polizeipräsidium Dortmund (2), Hochschule Hamm-Lippstadt, Nachrichtenagentur DPA