New York Obdachloser schreit U-Bahn-Fahrgäste an und stirbt im Würgegriff eines Ex-Marines

"Ruhe in Frieden": Proteste nach dem Tod von Jordan Neely in der U-Bahn-Station Broadway-Lafayette in Manhattan, New York
"Ruhe in Frieden": Proteste nach dem Tod von Jordan Neely in der U-Bahn-Station Broadway-Lafayette in Manhattan, New York
© TNS / ABACA / / Picture Alliance
Der Tod eines Wohnungslosen in der U-Bahn in New York sorgt für Entsetzen. Der Mann hatte Fahrgäste angeschrien und war von einem ehemaligen Elitesoldaten in den Würgegriff genommen worden – bis er starb.

In der New Yorker U-Bahn ist ein Obdachloser gestorben, nachdem ein Ex-Marine ihn minutenlang im Würgegriff gehalten hat. Das Opfer, der 30 Jahre alte Jordan Neely, hatte Passagiere angeschrien, als der ehemalige Elitesoldat seine Arme um Neelys Hals und Kopf schlang und ihn mehrere Minuten lang festhielt, bis sein Körper erschlaffte, wie US-Medien berichten. Laut dem Gerichtsmediziner der Stadt starb der Obdachlose an den Folgen einer Halsquetschung. Er wertete den Fall als Tötungsdelikt.

Der Zwischenfall ereignete sich am vergangenen Montagnachmittag im New Yorker Stadtteil Manhattan. Der 24-jährige Ex-Soldat wurde den Berichten zufolge von der Polizei verhört und noch am selben Tag wieder freigelassen. Obwohl der Gerichtsmediziner feststellte, dass es der Würgegriff war, der Neely tötete, war der Marine laut dem US-Sender CBS News am Mittwochabend immer noch nicht in Polizeigewahrsam, die Staatsanwaltschaft ermittle aber. "Im Rahmen unserer strengen laufenden Ermittlungen werden wir den Bericht des Gerichtsmediziners überprüfen, alle verfügbaren Video- und Fotoaufnahmen auswerten, so viele Zeugen wie möglich identifizieren und befragen und zusätzliche medizinische Unterlagen einholen", teilte die Anklagebehörde mit.

Jordan Neely litt unter psychischen Problemen 

Neely hatte den Zug der Linie F in Richtung Norden um kurz nach 14 Uhr betreten und angefangen, die Fahrgäste zu beschimpfen, erzählte der Augenzeugen Juan Alberto Vazquez, ein freischaffender Journalist, der "New York Times". "Ich habe nichts zu essen, ich habe nichts zu trinken, ich habe die Nase voll. Es macht mir nichts aus, ins Gefängnis zu gehen und lebenslang zu sitzen. Ich bin bereit zu sterben", habe der Obdachlose geschrien. Er habe aber niemanden im Zug angegriffen. Die "New York Daily News "berichtet unter Berufung auf die Polizei, Neely habe auch Fahrgäste mit Müll beworfen, was einen Streit mit dem 24-Jährigen ausgelöst habe.

Neely hatte nach Polizeiangaben eine lange Vorgeschichte mit psychischen Problemen und war bereits 40 Mal verhaftet worden. Sein Vater, Andre Zachery, erzählte der Zeitung, dass Neelys Mutter, Christie Neely, getötet worden sei, als ihr Sohn 18 Jahre alt war. Christie Neely sei 2007 im Alter von 36 Jahren tot in einem Koffer am Straßenrand der Bronx gefunden worden, berichtete Zachery. Jordan habe im Mordprozess gegen ihren Liebhaber Shawn Southerland ausgesagt, der 2012 zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. "Seine Mutter ist umgekommen, sie wurde auch getötet. Und jetzt er? Ihr Freund hat sie erschossen. Und jetzt er? Von einer anderen Person?" Er selbst habe Neely seit vier Jahren nicht mehr gesehen.

Vazquez hielt Neelys letzte Minuten auf Video fest. Der knapp vier Minuten lange Film beginnt erst, als der Obdachlose sich bereits am Boden liegend im Würgegriff befindet. Zwei weitere Männer umringen ihn, von denen einer seine Handgelenke festhält, während Neely versucht, sich mit Armen und Beinen zu wehren. Schließlich warnt eine männliche Stimme aus dem Hintergrund, dass der Würgegriff tödlich sein könnte. "Wenn Sie ihn ersticken, war's das", sagt der Mann. "Ihr wollt doch nicht wegen Mordes angeklagt werden." Einer der Beteiligten antwortet: "Er drückt nicht mehr zu", und der Veteran löst den Würgegriff. Neely ist nicht mehr bei Bewusstsein und die Männer rollen ihn auf die Seite. Er wird in ein Krankenhaus gebracht, wo er stirbt. Insgesamt wurde Neely nach Aussage von Vazquez etwa 15 Minuten im Würgegriff gehalten. Der Journalist erklärte, dass es nicht so ausgesehen habe, als würde Neely ersticken. Aber nachdem er vom Tod des 30-Jährigen erfahren hatte, sei er von dem, was er im Zug gesehen habe, verstört.

Nachdem Vazquez' Video am Mittwoch öffentlich wurde, wuchs die Empörung über Neelys Tod. Auf dem Bahnsteig der U-Bahn-Station Broadway-Lafayette, wo der lebloser Körper des 30-Jährigen von Rettungskräften aus dem Zug geholt worden war, versammelten sich etwa 50 Demonstranten. "Jordan Neely wurde hier ermordet", hatte jemand nach Angaben des "New York Magazine" auf den Boden gesprüht. Die Menge sei wütend gewesen, weil Neeyls Tod trotz der verstärkten Polizeipräsenz in den U-Bahnen nicht verhindert wurde. Auch dass ein weißer Mann einen Schwarzen getötet hatte und noch nicht angeklagt wurde, hätten die Protestierenden angeprangert. "Wenn Sie sehen, dass jemand in der U-Bahn zu Tode gewürgt wird, dann schlagen Sie zu!", habe ein Demonstrant gerufen.

New Yorks Bürgermeister sieht eigene Politik bestätigt

Bürgermeister Eric Adams wertete Neelys Tod als einen Beweis dafür sei, dass seine Politik, psychisch Kranke und Obdachlose aus der U-Bahn zu entfernen, gerechtfertigt sei. "Jeder Verlust von Leben ist tragisch. Wir wissen vieles nicht, was hier passiert ist, deshalb werde ich mich mit weiteren Kommentaren zurückhalten. Wir wissen jedoch, dass hier ernsthafte psychische Probleme im Spiel waren, weshalb unsere Regierung Rekordinvestitionen getätigt hat, um diejenigen zu versorgen, die sie brauchen, und um Menschen von den Straßen und aus den U-Bahnen und aus gefährlichen Situationen herauszuholen."

Manhattans Bezirkschef Mark Levine gab dagegen der mangelhaften Versorgung psychisch Kranker eine Mitschuld an Neelys Schicksal: "Unser kaputtes Gesundheitssystem hat ihn im Stich gelassen" erklärte der Demokrat. "Er verdiente Hilfe und nicht den Tod im Würgegriff auf dem Boden der U-Bahn".

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Ähnlich argumentierten Obdachlosenvertreter: "Es ist schrecklich, dass es zu diesem Ausmaß kommen musste, zu diesem tragischen Verlust an Leben, um zu unterstreichen, dass dieser Ansatz, Menschen als gefährlich oder als Bedrohung zu behandeln, nur weil sie in Not sind, aufhören muss", zitiert CBS News Corinne Low, Direktorin der Open Hearts Initiative, die sich für Wohnungslose einsetzt. "Es gab kein Mitgefühl in diesem Zugwaggon", sagte Karim Walker vom Urban Justice Center der "New York Times". Für Neelys Tod sollte Rechenschaft abgelegt werden. "Es war weder nötig noch hatte er es verdient, auf diese Weise zu sterben. Das ist es, was mir wirklich Angst macht und was mir das Herz bricht."

Auch die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez zeigte sich von Neelys Tod entsetzt: "Jordan Neely wurde ermordet", schrieb die Demokratin aus New York auf Twitter. "Aber weil Jordan wohnungslos war und nach Essen schrie, in einer Zeit, in der die Stadt die Mieten erhöht und Dienstleistungen abbaut, um sich selbst zu militarisieren, während viele an der Macht die Armen dämonisieren, wird der Mörder mit passiven Schlagzeilen und ohne Anklage geschützt. Es ist ekelhaft."

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Bürgermeister Adams widersprach Ocasio-Cortez' Aussage, dass Neely "ermordet" worden sei und mahnte zur Vorsicht: "Ich denke nicht, dass das zu diesem Zeitpunkt, wo wir die Situation noch untersuchen, sehr verantwortungsvoll ist", sagte er dem US-Sender CNN. "Lassen wir die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen mit den Strafverfolgungsbehörden durchführen."

Der Rechtsexperte und Strafverteidiger David Schwartz sagte CBS News, dass der Fall juristisch kompliziert sein könnte. "Man kann nur so viel Gewalt anwenden, wie in der jeweiligen Situation notwendig ist. War also Gewalt überhaupt notwendig? Ich weiß es nicht. Wir müssen abwarten, wie sich die Ermittlungen entwickeln."

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