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Sebastian B. Mit Blei in den Mund geschossen

24 Stunden nach dem Überfall auf eine Schule in Emsdetten, steht die Todesursache des Attentäters fest. Der 18-Jährige B. hat sich in den Mund geschossen. Nun macht sich die Polizei auf die Suche nach der Herkunft der Waffen und des Sprengstoffs.

Sebastian B., der Amokläufer von Emsdetten, hat sich mit einem Schuss in den Mund selbst getötet. Das hat die Obduktion der Gerichtsmediziner in Münster ergeben. Danach setzte er sich ein antikes Vorderladergewehr an den Kopf und schoss sich eine 15 Millimeter dicke Bleikugel ins Gesicht. Er war sofort tot. Bis zur Untersuchung war unklar, ob der B. durch eine Sprengladung oder durch einen Schuss aus einer seiner Waffen ums Leben gekommen war.

Amokläufer in Schulen - eine Chronologie

17. Mai 2006: Ein 16 Jahre alter Internatsschüler wird in Schelklingen (Baden-Württemberg) erstochen. Ein Jugendlicher (17) gesteht die Tat im Oktober.

2. Juli 2003:

Ein 16-jähriger Realschüler schießt im fränkischen Coburg auf seine Klassenlehrerin und eine Schulpsychologin. Danach tötet sich der Jugendliche selbst.

26. April 2002:

Der 19-jährige Robert Steinhäuser erschießt im Erfurter Gutenberg-Gymnasium zwölf Lehrer, zwei Schüler, eine Sekretärin und einen Polizisten, dann tötet er sich selbst.

19. Februar 2002:

In einer Berufsschule im bayerischen Freising tötet ein 22-Jähriger den Direktor und verletzt einen Lehrer schwer. Anschließend begeht der vorbestrafte ehemalige Schüler Selbstmord. Zuvor hatte er in einer Firma zwei Ex-Kollegen erschossen.

16. März 2000:

Ein Schüler (16) schießt in Brannenburg (Bayern) einem Internatsleiter in den Kopf. Anschließend verletzt sich der Jugendliche selbst schwer.

9. November 1999:

Im sächsischen Meißen stürmt ein 15 Jahre alter Gymnasiast in ein Klassenzimmer und tötet seine 44-jährige Lehrerin mit 21 Messerstichen.

Einen Tag nach dem blutigen Racheakt eines 18-Jährigen konzentrieren sich die Ermittlungen der Polizei auf die Herkunft der Tatwaffen. Der Ex-Schüler hatte seine frühere Schule mit einem ganzen Arsenal von Gewehren, Sprengfallen und Rauchbomben überfallen und fünf Menschen angeschossen; anschließend richtete er sich selbst. Insgesamt wurden rund 30 Menschen verletzt. Der Hausmeister der Geschwister-Scholl-Realschule liegt mit einer Bauchverletzung im Krankenhaus.

Bereits im Juli hatte die Polizei ihm eine Waffe abgenommen. Deswegen hätte er sich am Dienstag wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor dem Jugendrichter in Rheine verantworten sollen. Laut stern.de-Informationen soll die Garage der Eltern voll mit Sprengstoff gewesen sein.

Dem Sender N24 sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Wolfgang Schweer, es gebe Hinweise darauf, dass der 18-Jährige sein Waffenarsenal über das Internet bezogen habe. Nach Informationen von "Welt.de" soll der Jugendliche allein in den vergangenen sechs Wochen neunmal auf einer Waffen-Website unter seinem Pseudonym "ResistantX" eingekauft haben.

Allerdings waren zwei der drei Schusswaffen des Amokläufers ohnehin frei verkäuflich. Es handelte sich dabei um ein Vorderladergewehr mit gekürztem Lauf und Griff sowie eine Vorderladerpistole. Die altertümlichen Waffen können ab dem 18. Lebensjahr frei erworben werden. Eine davon benutzte B. nach den Ergebnissen der Obduktion auch, um sich selbst zu töten.

Nach einer ersten Rekonstruktion des Tathergangs glich der Amoklauf des 18-Jährigen in seinem Ablauf den Schießorgien gewalttätiger Computerspiele. Bewaffnet mit zahlreichen Bomben und Schusswaffen habe der Jugendliche sich einen Weg über den Schulhof und durch das Schulgebäude gebahnt und dabei wahllos auf Schüler und Lehrer geschossen. Erst als die Polizei eintraf, verschanzte er sich in einem Klassenzimmer und richtete sich selbst. Am Körper des Amokläufers fanden die Polizisten drei selbst gebaute Rohrbomben, weitere fünf Bomben befanden sich in einem Rucksack, den er Täter bei sich hatte.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, sagte der "Münsterschen Zeitung": "Es kann nicht angehen, dass ein 18-Jähriger an solche Waffen kommt." Mit der Gewalttat sei ein neues Ausmaß an Brutalität erreicht. "Dass Sprengstoff im Spiel war, gibt dem Fall eine neue Dimension."

Polizei und Staatsanwaltschaft suchen nach der Bluttat nun auch nach möglichen Mitwissern. Geprüft werde, ob jemand im Voraus von der Tat gewusst habe, sagte der Sprecher der Münsteraner Staatsanwaltschaft. Gerüchten zufolge habe es Pläne gegeben, dass ein weiterer Attentäter die benachbarte Marienschule überfallen sollte.

Außerdem sollten alle Personen befragt werden, die auf den Videos mit Gewaltszenen zu sehen seien, die der Täter kurz vor der Tat ins Netz gestellt habe. Unter seinem Pseudonym hatte der Jugendliche bereits im Juni 2004 auf einer Beratungsseite im Internet über seinen Hass auf die Schule berichtet und gedroht: "Für die, die es noch nicht genau verstanden haben: Ja, es geht hier um Amoklauf!". Allerdings hatte er sich im Januar dieses Jahres auf der gleichen Seite auch von diesen Äußerungen distanziert und erklärt: "Mir geht's besser. Ich bin nun im 10. Schuljahr und denke ich schaff's. Wenn ich mir meine Post mal wieder durchlese kommt mir das echt bissl dämlich vor. Ich denke ich habe damals wohl etwas übertrieben."

Vor den Sprechzimmern der Psychologen in Emsdetten bildeten sich Dienstag früh lange Schlangen von Schülern. Jedoch sind nach Angaben von Jugendlichen nur etwa die Hälfte der knapp 700 Schüler gekommen. Sie wurden in Fünfergruppen von den Experten betreut. Der Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) die in diesem Zusammenhang die bundesweit zu geringe Zahl an Schulpsychologen beklagt. Nach einer Studie der OECD liege Deutschland an vorletzter Stelle beim Verhältnis von Schulpsychologen zu Schülern, sagte er, "da liegt Deutschland kurz vor Malta."

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat den Schülern der Geschwister-Scholl-Realschule psychologische Betreuung versprochen. "Diese Schule braucht jetzt Hilfe, und sie wird diese Hilfe bekommen", sagte er. Der normale Schulbetrieb solle so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden. "Es wird aber noch eine lange Zeit dauern, bis dieses furchtbare Ereignis aufgearbeitet ist und die Kinder das überwunden haben."

Rüttgers lobte die Arbeit der Polizei. Seiner Ansicht nach habe sie ein größeres Blutvergießen verhindert. Das schnelle Eintreffen der Einsatzkräfte sei ein Glücksfall gewesen, sagte der CDU-Politiker. "Man kann davon ausgehen, dass dies dazu geführt hat, dass der Täter keine Kinder in seine Gewalt bringen konnte." "Es hat sich bewährt, dass die Polizei in Nordrhein-Westfalen nach dem Vorfall in Erfurt solche Situationen geübt hat, dass es ein spezielles Einsatzkonzept für solche Amokläufe in Schulen gibt."

Mit DPA/AP/Reuters AP Reuters

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