Stockton, Kalifornien Eine Stadt in Angst vor einem Serienmörder: "Als hätten wir Zielscheiben auf dem Rücken"

Ist das der mutmaßliche Serienmörder von Stockton? Eine verwaschene Aufnahme einer Überwachungskamera ist bisher die einzige Spur
Ist das der mutmaßliche Serienmörder von Stockton? Eine verwaschene Aufnahme einer Überwachungskamera ist bisher die einzige Spur
© Videostill/Stockton Police Department
Zodiac, Night Stalker, Golden State Killer – das sonnige Kalifornien ist immer wieder Schauplatz unheimlicher Mordserien. Nun ist es offenbar wieder soweit. In Stockton, einer Stadt in der San Francisco Bay Area, tötet ein Mann anscheinend wahllos.

Wenn es dunkel wird in Stockton leeren sich die Straßen der 320.000-Einwohner-Stadt in Kalifornien schnell. Seit einigen Tagen schon vermeidet es jeder, das Haus zu verlassen, sobald die Abenddämmerung heraufzieht. Und wer unbedingt unterwegs sein muss, versucht alles, um nicht allein zu sein. Denn wer derzeit nachts ohne Begleitung durch die Straßen von Stockton geht, riskiert nicht weniger als sein Leben. So fühlt es sich zumindest an, seit jeder weiß, dass ein Serienmörder umgeht in der Stadt etwa 130 Kilometer östlich von San Francisco. Mutmaßlich ein Mann, der wahllos tötet. Denn viel verbindet die Opfer, die allesamt erschossen wurden, nicht miteinander: Sie waren allein, zu Fuß unterwegs und es war Nacht.

Auffällig ist noch: Vier der bisher insgesamt sieben Opfer, die dem Täter zugeordnet werden, waren Obdachlose, darunter eine Frau, die in ihrem Zelt angeschossen wurde, aber als bisher einzige überlebte. Fünf der Opfer waren Latinos. Doch daraus zu schließen, der Schütze sei auf einem Kreuzzug gegen Obdachlose lateinamerikanischer Herkunft, greift zu kurz. Zum einen erlebt die Region um San Francisco gerade eine regelrechte Obdachlosenkrise mit Tausenden, die an Straßenrändern und in Parks ihr Dasein fristen, zum anderen ist Stockton eine Stadt mit einem hohen Anteil Latinos an der Bevölkerung (43,5 Prozent laut U.S. Census Bureau).

Stockton-Ermittler: "Nicht viel, womit wir arbeiten können"

"Wir sind eine sehr diverse Stadt, etwa die Hälfte der Einwohner sind Latinos, da ist es schwer zu sagen, ob es sich um Hassverbrechen oder zufällige Taten handelt", sagt Ines Ruiz-Huston, Vize-Präsidentin der gemeinnützigem Hilfsorganisation El Concilio California, der Zeitung "San Francisco Chronicle". Dennoch, so heißt es, sagen vor allem Latinos und Obdachlose: "Es fühlt sich an, als hätten wir Zielscheiben auf dem Rücken." Obdachlose suchen daher vermehrt die öffentlichen Schutzeinrichtungen auf, suchen sich gemeinsame Schlafplätze und wappnen sich mit Stöcken und Steinen, in der Hoffnung, den Täter im Ernstfall in die Flucht schlagen zu können.

Allzu viel kann die Polizei über die Person bisher nicht sagen. Verdächtigt wird eine verwaschene, dunkle Gestalt in einem Kapuzenpulli mit leicht schrägem Gang, die von Überwachungskameras eingefangen wurde. Auch die Überlebende berichtet nur von einer schwarz gekleideten Person mit Corona-Maske. Eigentlich ist der Mann auf den Videos auch nur eine "person of interest", wie es im Polizei-Jargon heißt, also jemand, der sich erst bei weiteren Ermittlungen als Verdächtiger herausstellen könnte. "Wir haben nicht viel, womit wir arbeiten können", gibt Polizei-Sprecher Joe Silva zu. Für Hinweise sind 125.000 Dollar ausgelobt.

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Stockton-Killer: Fall in Oakland wird untersucht

Die fünf Morde, die sich zwischen dem 8. Juli und dem 27. September im Norden der Stadt ereigneten, wurden lange als Einzelfälle gesehen. Erst in der vergangenen Woche wurden daraus Taten eines einzelnen Täters. Eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen den Fällen in Bezug auf die ballistischen Untersuchungen, so die Formulierung der Polizei, brachten die Ermittler auf den Gedanken. "Es entspricht auf jeden Fall der Definition eines Serienmörders", so Silva zur Nachrichtenagentur AFP. Die ballistischen Auffälligkeiten seien es auch, die die Ermittler nun zu einem Mord in Oakland – einer weiteren Stadt in der Bay Area – geführt haben. Dieser soll bereits im vergangenen Jahr verübt worden sein.

Nicht zum ersten Mal leben die Menschen in Stockton in Angst vor einem Serienmörder. Die Stadt ist das Verwaltungszentrum des San Joaquin Countys, in dem in den 1980er- und 1990er-Jahren die sogenannten Speed Freak Killers bis zu 19 Menschen ermordeten – die genaue Zahl steht bis heute nicht fest. Seinen Namen verdankt das mörderische Duo seinem Methamphetamin-Missbrauch. Überführt und verurteilt wurden sie wegen vier Morden, von denen sie drei nachweislich gemeinsam verübten. Einer der beiden Täter, Loren Herzog, veruteilt zu 78 Jahren Haft, nahm sich vor zehn Jahren das Leben. Der zweite, Wesley Shermantine, wartet im Gefängnis von San Quentin nach wie vor auf seine Hinrichtung.

"Sind an Schüsse in der Nacht gewöhnt. Aber das ist anders"

Es ist nicht die Gewalt an sich, die die Einwohner von Stockton umtreibt, Morde habe es hier immer gegeben, berichtet ein 65-Jähriger dem "Chronicle", und schließlich sei es gut, wenn jeder Bescheid wisse und auf der Hut sein könne. "Wir sind ja an Schüsse in der Nacht gewöhnt, das ist hier einfach so", meint eine 24-Jährige, die in einem Park mit einer Freundin beim Picknick sitzt. "Aber ein Verrückter, der zufällig Leute erschießt, das ist etwas anderes. Das ist schon ein bisschen beängstigender."

Für die 62-jährige Renea Debudey ist die Situation weit dramatischer. Sie hat nicht nur Angst, sie hat ihren Sohn an den unbekannten Killer verloren. Zwei Kugeln töteten den 43 Jahre alten Mann an einem späten Abend im August in der Nähe eines Restaurants. "Jeder hat Angst, irgendwohin zu gehen, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit, weil es jemanden gibt, der Menschen ohne Grund tötet", sagt sie dem "Chronicle". "Ich meine, jemand geht einfach auf Leute zu und erschießt sie." Und dann formuliert sie die quälende Frage, die sich wohl alle Menschen in Stockton derzeit stellen: "Wer von uns wird der nächste sein?"

Quellen: Polizei von Stockton; "San Francisco Chronicle"; Nachrichtenagentur AFP

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