Im ersten Verfahren zum Einsturz des Historischen Stadtarchivs muss die Stadt Köln offenbar keine Verurteilung befürchten. Zwar traf das Landgericht der Domstadt am Dienstag noch keine Entscheidung, doch der Vorsitzende Richter Reinhold Becker machte deutlich, dass er die Argumentation der Kläger in weiten Teilen nicht nachvollzieht. Als Monate vor dem Einsturz Risse im Archivgebäude aufgetaucht seien, habe die Stadt mehrere Statiker zurate gezogen, die alle keine Gefahr gesehen hätten, sagte Becker.
Einer der Kläger, der Regisseur Franz-Josef Heumannskämper, äußerte im Anschluss an die Sitzung die Überzeugung, dass das Gericht die Klagen abweisen wird. Der Anwalt Louis Peters will dann allerdings vor das Oberlandesgericht ziehen. Bei den Klägern handelt es sich um Leihgeber, die dem Archiv Unterlagen anvertraut hatten. Sie werfen der Stadt eine grobe Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht vor. Nach den Rissen und anderen Warnzeichen hätten die Archivschätze ausgelagert werden müssen, kritisieren sie.
Anwalt Peters verwies auf ein Interview der Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia kurz nach dem Einsturz im "Kölner Stadt-Anzeiger". Auf die Frage, ob sie mit dem Schlimmsten gerechnet habe, antwortete sie: "Wir im Archiv schon." Peters sagte, damit sei das Verfahren eigentlich schon zu Ende, er müsse recht bekommen. Richter Becker maß dem Interview jedoch wenig Bedeutung zu.
Das Historische Archiv war am 3. März eingestürzt. Dabei kamen zwei Menschen ums Leben. Das Archiv galt als eines der bedeutendsten Kommunalarchive Europas. Zur Einsturzursache ermittelt noch die Staatsanwaltschaft. Als sicher gilt nur, dass der Ausbau der U-Bahn zu der Katastrophe beigetragen hat.
"Wir sagen: Zeug zurück!"
In dem Verfahren klagen drei Leihgeber: Einmal Dorothea von Wittgenstein, die dem Archiv ihre Familienchronik als Leihgabe zur Verfügung gestellt hatte - es ging darin zum Beispiel um den ersten Präsidenten des Festkomitees Kölner Karneval, Heinrich von Wittgenstein. Dann die Brüder Oliver und Mario König, die zahlreiche Dokumente zu ihrem Vater René König (1906-1992) - einem bedeutenden Soziologen - in die Obhut des Archivs gegeben hatten. Und schließlich der Regisseur Heumannskämper, der dem Archiv den Nachlass seines 1995 gestorbenen Lebensgefährten, des Baritons William Pearson, verkauft hatte. Dabei hatte er sich jedoch das Recht zur weiteren Nutzung zusichern lassen.
Die Leihgeber wollen ihre Dokumente, Briefe, Fotos oder Tonbänder wiederhaben. "Wir sagen: Zeug zurück!", wetterte Peters. Falls die Sachen beschädigt sind, soll die Stadt sie bis Ende nächsten Jahres restaurieren. Sollten sie verloren sein, fordern die Leihgeber Schadenersatz.
Verbleib und Zustand der Dokumente häufig unklar
Mittlerweile sind 85 Prozent der Archivbestände geborgen, doch praktisch jedes Stück muss restauriert werden. Wo sich welches Dokument befindet und in welchem Zustand es ist, kann die Stadt in den meisten Fällen gar nicht sagen. Die geborgenen Bestände lagern zurzeit in anderen Archiven in unterschiedlichen Städten.
Auch das ist nach Meinung von Peters inakzeptabel. "Die waren nicht nur vor dem Einsturz schlecht organisiert, die waren es auch nachher", klagte er. "Die hätten da einfach 20 Leute abstellen müssen, um aufzuschreiben, wo was hingeht." Der Anwalt der Stadt argumentierte jedoch, dies sei angesichts der ungeheuren Menge der Archivalien nicht möglich gewesen.