Crime Story Wineville

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  • von Claudio Rizzello
Eines Tages nahm der Onkel den Jungen mit. Er brauchte Hilfe bei dem, was er vorhatte. Der Onkel hatte sich ein Stück Land gekauft. Einsam, still und abgelegen
Ranch in Wineville
In Wineville hat sich der Onkel eine Farm gekauft, auf die er immer wieder Kinder lockt
© Los Angeles Herald Examiner Photo Collection/LAPL

Christine Collins tat am 10. März 1928 nichts Ungewöhnliches für eine Mutter. Sie gab ihrem Sohn Walter Geld für einen Kinobesuch. Collins, eine toughe Frau, arbeitete für eine Telefongesellschaft, Walters Vater saß wegen mehrerer Raubüberfälle im Gefängnis. Sie schlug sich durch, so gut es eben ging, mit ihrem Sohn, für ihren Sohn. Walter, so schrieben es später die Zeitungen in ihren Meldungen über den tragischen Fall, trug ein rot-braunes Hemd, eine braune Cordhose und eine graue Schirmmütze, als er das Haus in der 217 North Avenue 23, Lincoln Heights, Los Angeles, verließ und zum letzten Mal gesehen wurde.

Er war neun Jahre alt und wie so oft allein.

*

In schweren Zeiten kann eine Familie alles sein, was man hat, man braucht sie zum Überleben, aber manchmal ist es auch, als lebe man nur für sie. Dabei hat man sie sich gar nicht selbst ausgesucht. Ein Kind, das vielleicht noch nicht mal weiß, ob es in eine gute oder eine schlechte Familie geraten ist, muss sich zunächst anpassen und tun, was die Familie erwartet. In Erwachsenensprache: gehorchen. Egal, wohin es führt.

Sanford Clark ist 13 Jahre alt und weiß bereits gut, was das bedeutet, als er durch den Besuch eines Verwandten erfahren muss, dass es noch schmerzlichere Formen des Gehorsams gibt als jene, die er bereits kennt. Es ist das Jahr 1926, die Wirtschaft hat gerade ein Zwischenhoch, der Erste Weltkrieg ist überwunden, die Große Depression wird erst drei Jahre später einsetzen, aber im ländlichen Saskatchewan, Kanada, ist das Leben dennoch rau. Dort wohnt Sanford mit seiner Mutter Winnifred, dem Vater John, zwei kleinen Brüdern und seiner ältesten Schwester, der 17-jährigen Jessie. Der Vater hat nur Gelegenheitsjobs, die Kinder müssen zu Hause viel helfen und zudem Geld für die Familie verdienen. Zum Dank gibt es Prügel. Vor allem die Mutter schlägt schnell zu, gern auf den Hinterkopf. Einfach so bricht es aus ihr heraus und über die Kinder hinein. Der überforderte Vater lässt sie gewähren. Jessie immerhin, die sich sorgende große Schwester, schützt die Jungs, wo sie kann. In einer Familie kann beides zu finden sein, die Bedrohung und die Rettung.