Zehn Tage nach dem Vorfall bekam ich plötzlich heftige Halsschmerzen. Als hätte ich eine Glasscherbe verschluckt. Im Speisesaal benetzte ich meine Zunge mit Eiswasser und beugte meinen Kopf nach hinten, um die kühle Flüssigkeit die Kehle hinunterlaufen zu lassen. Schlucken konnte ich nicht, das tat zu sehr weh. Wenn ich richtig Hunger hatte, nippte ich ein wenig an der Magermilchflasche. Milch macht immerhin etwas satter als Wasser.
Der Vorfall hatte sich Ende Oktober ereignet, kurz vor Halloween, an der St. Paul’s School in Concord, im US-Bundesstaat New Hampshire. Ich war damals 15 Jahre alt. Seitdem habe ich meine Geschichte mehr als ein Dutzend Mal erzählt, nicht nur meinen Eltern, Therapeuten und Freunden, auch von Kriminalbeamten wurde sie aufgezeichnet.
Eigentlich ist die Geschichte gewöhnlich, erschreckend gewöhnlich. Sie handelt von sexueller Gewalt in einem Internat in Neuengland. Ich wurde in einem privilegierten Umfeld angegriffen; ich habe in einem privilegierten Umfeld überlebt. Mich beschäftigt an meiner Geschichte auch weniger das, was passiert ist. Das werde ich sowieso nie vergessen. Mich beschäftigt vielmehr, dass es schier unmöglich ist, durch das Erzählen dem Geschehenen die Macht zu nehmen, die es über mich besitzt.