Wenn alte Menschen kriminell werden, kommt einem das unter dem Namen „Rentner-Gang“ bekannt gewordene Quartett aus Nordrhein-Westfalen in den Kopf: Zwei unbescholtene Ehepaare, der Älteste von ihnen 81, entführten und erpressten ihren Anlageberater, der sie um ihre Ersparnisse gebracht hatte. Sie waren gut situiert, selbstbewusst, rüstig – und wütend. Ein typischer Kriminalitätsfall in der Altersgruppe „Senioren“?
Typisch ist daran nur, dass diese „Rentner-Gang“ von der Öffentlichkeit als hochinteressant und mit großem Erstaunen wahrgenommen wurde. Gleiches galt für die „Opa-Gang“, die schwerstbewaffnete Raubüberfälle begangen hatte, oder auch für eine 98-Jährige, die aus dem Altenheim vor der Polizei floh. Solche Fälle, aber auch prominente kriminelle Ältere wie der Steuerbetrüger Hoeneß, verzerren das Bild. Nein, das Kuriose und Monströse ist bei Verbrechen im Alter die Ausnahme. Viele können sich aber nicht vorstellen, dass betagte Menschen eine ganze Menge sehr alltäglicher Delikte begehen. Das widerspricht dem Altersklischee.
Betagte Menschen werden gleichgesetzt mit gesetzestreu und angepasst?
Senioren sind vor allem Opfer, aber nicht Täter: Davon gehen die meisten aus. Die Zahlen zeigen ein ganz anderes Bild: Auf ein betagtes Opfer kommen knapp drei betagte Tatverdächtige. Ich habe 2008 eine bittere Erfahrung gemacht, die dazu passt: Mit meiner Arbeitsgruppe an der Hochschule München wollten wir den Zusammenhang von Delinquenz und Alter damals genauer erforschen. Wir warben um eine öffentliche Förderung. Abgelehnt. Ein Gutachter war zu dem Schluss gekommen, man müsse von einer grundsätzlichen Abnahme krimineller Energie mit zunehmendem Lebensalter ausgehen. In anderen Worten: Der Aufwand lohnt sich nicht, da gibt es nichts zu erforschen. Als wäre die Neigung, straffällig zu werden, eine Batterie, die sich im Lauf des Lebens entlädt!
Unsere Gesellschaft besteht zu mehr als einem Viertel aus Menschen über 60 Jahren. In den Gefängnissen ist diese Altersgruppe aber nur mit etwa sechs Prozent vertreten. Das klingt nach einer kleinen Gruppe.
155 000 Männer und Frauen über 60 waren 2019 tatverdächtig. Das sind nicht so wenige. Es kann doch nicht sein, dass wir so tun, als wüssten wir schon alles über diese Gruppe. Auch im Alter müssen Menschen abwägen, ob sie Gesetze einhalten oder nicht. Sie müssen Verlockungen widerstehen. Worauf kommt es dabei an? Was könnte zu mehr Gesetzesbrüchen führen? Diese Fragen sind relevant.