Es ist einer der mysteriösesten Vermisstenfälle in der Geschichte Norwegens: Am 31. Oktober 2018 verschwand Anne-Elisabeth Hagen spurlos aus ihrem Haus in Lørenskog bei Oslo. Hauptverdächtiger war lange Zeit der Ehemann der 68-Jährigen, Tom Hagen. Jetzt, fast genau sechs Jahre später, haben Polizei und Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Das berichten mehrere norwegische Medien am Freitag unter Berufung auf Hagens Anwalt.
Justizbehörden sehen Tom Hagen als unschuldig an
"Die Anklage gegen Tom Hagen wurde fallen gelassen, da 'keine Straftat als erwiesen gilt'", schreibt die Anwaltskanzlei Hjort in einer Pressemitteilung. "Das bedeutet, dass die Beweise stark dagegen sprechen, dass Hagen eine Straftat begangen hat. Das ist eine vollständige Entlastung für Tom Hagen."
Am Freitagmittag äußerte sich die Polizei auf einer Pressekonferenz. Sie bestätigte, dass das Verfahren gegen den Ehemann eingestellt worden sei und dass keine Straftat nachgewiesen werden konnte. Tom Hagen, der einer der reichsten Männer Norwegens ist, sei kein Verdächtiger mehr und als unschuldig anzusehen.
"Auch wenn die Ermittlungen gegen Tom Hagen abgeschlossen sind, ist es wichtig zu betonen, dass dies nicht bedeutet, dass die Ermittlungen in dem Fall selbst beendet sind", stellte Staatsanwältin Guro Holm Hansen auf der Pressekonferenz klar. Drei weitere Personen seien in dem Fall beschuldigt. Man arbeite kontinuierlich daran, die Verdachtsmomente gegen sie zu klären.
"Wir überprüfen das Ermittlungsmaterial, um zu sehen, ob es Umstände gibt, die übersehen wurden oder die aufgrund der Informationen, die wir jetzt haben, einen neuen Sinn ergeben", sagte sie der Zeitung "Dagbladet". Holm Hansen schloss weitere Festnahmen in dem Fall nicht aus.
Polizei hatte zunächst an Entführung von Anne-Elisabeth Hagen geglaubt
Trotz intensiver Untersuchungen der Behörden und zahlreicher Hinweise fehlt bis heute jede Spur von Anne-Elisabeth Hagen. Die Polizei war in dem Fall zunächst von einer Entführung ausgegangen. Im Haus des Millionärspaares war ein Brief mit einer Lösegeldforderung von neun Millionen Euro gefunden worden, zu zahlen in einer Kryptowährung. Im Juni 2019 änderten die Ermittler ihre Hypothese und stuften den Fall als Mord ein, da es keine Reaktion der angeblichen Entführer gab und kein Lebenszeichen von Anne-Elisabeth Hagen.
Die Entführung des Peter Lorenz

Im Frühjahr 2020 dann die überraschende Wende: Die Polizei nahm Tom Hagen wegen Mordverdachts fest. Er kam in Untersuchungshaft, wurde aber nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Hagen bestreitet, seine Frau getötet zu haben, die Vorwürfe gegen ihn blieben jedoch bestehen. Wenig später wurde ein weiterer Mann festgenommen und wegen Mordes angeklagt. Der von den Medien als "Krypto-Mann" bezeichnete Verdächtige hatte mehrmals mit Tom Hagen über Kryptowährungen gesprochen. Auch er bestreitet die Tat.
"Es ist richtig, das Verfahren einzustellen"
Laut der Zeitung "VG" war der Generalstaatsanwalt nun zu dem Schluss gekommen, dass es keine konkreten Beweise dafür gibt, dass Tom Hagen hinter dem Mord stecke. Der Anwalt Gard Lier, der die Seite von Anne-Elisabeth Hagen vertritt, sagte dem Rundfunk NRK, die Einstellung der Ermittlungen sei richtig. "Es ist gut, dass der Fall nun an einem Punkt angelangt ist, an dem einige Dinge geklärt werden konnten."
"Es hätte mich überrascht, wenn der Fall nicht eingestellt worden wäre", erklärte Lier. "Wir untersuchen diesen Fall seit fast sechs Jahren, und wenn wir keine schlüssigen Beweise gegen einen Angeklagten finden, ist es richtig, das Verfahren einzustellen." Er müsse sein Urteil auf das stützen, was seine Mandantin gewollt hätte.
"Ich denke, ihr Wunsch in diesem Fall ist, dass die richtigen Leute gefasst werden, und wenn ihr Mann unschuldig ist, dann ist es nicht ihr Wunsch, dass er in diesem Fall angeklagt wird", sagte der Anwalt. "Ihr Wunsch ist es, dass die richtige Person gefasst wird."
Quellen: NRK, "VG", "Dagbladet", DPA via stern