Winnenden-Prozess - Tim K.s Vater vor Gericht "Es geht um Verantwortung"

  • von Malte Arnsperger
Tim K. erschoss am 11. März 2009 in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen. Nun steht der Vater des Amokläufers vor Gericht. Die Hinterbliebenen haben ein Anliegen an Jörg K.

Verantwortung soll er übernehmen. Nur das wollen sie. Jörg K. soll dafür gerade stehen, was sein Sohn Tim verschuldet hat. 15 Menschen hatte der 17-Jährige beim Amoklauf von Winnenden und Wendlingen getötet. "Die Strafe für den Vater ist mir egal", sagt Gisela Mayer, die ihre Tochter Nina verlor. "Mir geht es um Verantwortung."

Um beides, um Strafe und Verantwortung, wird es gehen, wenn Jörg K. von Donnerstag an vor der 18. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart steht. Der zugelassene Anklagevorwurf klingt zunächst eher harmlos: "Verdacht der fahrlässigen unerlaubten Überlassung einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe an einen Nichtberechtigten."

Hinter dem Paragrafendeutsch steckt folgende Frage: Inwiefern ist der 51-jährige Jörg K. dafür zu bestrafen, dass er die spätere Tatwaffe, eine Beretta, nicht in seinem Waffentresor eingeschlossen, sondern in seinem Kleiderschrank verwahrt hatte, so dass sein Sohn sie sich holen konnte? Also rein juristisch um einen Verstoß gegen das Waffengesetz, der normalerweise vor einem Amtsgericht abgehandelt würde. Vor allem, da der Vater seinen Fehler bereits weitgehend zugegeben hat.

Erste Begegnung vor Gericht

Doch Verstoß gegen das Waffengesetz hin oder her, vor dem Stuttgarter Landgericht werden die furchtbaren Folgen im Vordergrund stehen. Deshalb sind 27 Verhandlungstage angesetzt, über 20 Zeugen und mehrere Gutachter geladen. Und vor allem: Über 40 Nebenkläger sind zugelassen, darunter auch die Angehörigen der Todesopfer. Gisela Mayer ist eine von ihnen. Sie ist nach der Tat zum Gesicht und Sprachrohr eines Teils der Hinterbliebenen geworden. Unermüdlich, fast rastlos, hat sie das "Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden" vorangetrieben, gegen Killerspiele und Waffen gekämpft und sich dabei nicht nur Freunde gemacht. Nun wird sie vor Gericht zum ersten Mal dem Vater des Menschen in die Augen blicken können, der ihr und den anderen Familien so viel Leid zugefügt hat.

Wie sah das Familienleben aus?

"Es wird sicher ein schwerer Gang", sagte sie im Gespräch mit stern.de. "Auch deshalb, weil ich bisher überhaupt nichts von ihm und der Familie weiß." Das soll sich durch den Prozess ändern. Denn Staatsanwaltschaft und Nebenkläger wollen genau wissen, wie das Familienleben bei den K's aussah und welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass der Sohn zum Serienmörder wurde. Schließlich war es der Vater, ein passionierter Sportschütze, der seinen Sohn an Waffen heran führte. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich Jörg K. der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat. Denn, so die Argumentation der Ankläger, Jörg K. hat die Taten seines Sohnes erst ermöglicht. Er hätte Waffen und Munition im Waffentresor einschließen und damit verhindern müssen, dass Tim an die Pistole und die Munition gelangt.

Die 3. Jugendkammer des Landgerichts hat die Anklage der Staatsanwälte zwar zugelassen, jedoch mit einer entscheidenden Einschränkung: Jörg K. sei nur wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz verdächtig. Das Argument der Richter: Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung entfalle, wenn die Folgen der Tat auch bei pflichtgemäßen Verhalten des Vaters eingetreten wären. Sprich: Wenn sich Tim die Waffe auch heimlich aus dem Tresor hätte besorgen können, weil er dessen Zahlenkombination kannte. Diese Möglichkeit, dass der Sohn die Kombination kannte, schloss die Kammer im Vorfeld des Prozesses zumindest nicht aus.

Eine Reihe offener Fragen

Um dieses kleine, aber wichtige Detail wird im Prozess gestritten werden. Denn die verhandelnde Kammer ist an die Meinung der Jugendkammer nicht gebunden. Jörg K. könnte also durchaus wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden. Auf einen weiteren Aspekt, der in diesem Zusammenhang wichtig werden könnte, verweist Anwalt Jens Rabe, der fünf Opferfamilien vertritt. "Es gibt eine Reihe von offenen Fragen. Zum Beispiel in welchem psychischen Zustand sich der Amokschütze in den Monaten davor befand und ob der Vater davon wusste", sagt Rabe im Interview mit dem stern.

Fakt ist, dass der Jugendliche seit Sommer 2008 in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung war. Der Anwalt des Vaters, Hans Steffan, wollte sich auf stern.de-Anfrage zum Prozess nicht äußern. Vor einigen Monaten hatte Steffan aber im Magazin „Focus“ gesagt, für den Vater von Tim K. sei der Amoklauf nicht "erkennbar oder vorhersehbar" gewesen. Zudem habe sein Mandant "keinerlei konkrete Anhaltspunkte" dafür gehabt, dass sein Sohn die spätere Mordwaffe aus dem Kleiderschrank nehmen könnte. Bis heute seien dem Vater die Hintergründe zur Tat und die Motivation seines Sohnes nicht bekannt.

"Ich erhoffe mir Klarheit"

Hat Jörg K., als Chef einer mittelständischen Firma beruflich stark eingespannt, wirklich nicht wahr genommen, in welchem Zustand sich sein Sohn befand? Welche Signale sandte Tim und wurden sie von den Eltern empfangen? Das ist für Gisela Mayer ein zentraler Aspekt des Prozesses. "Ich erhoffe mir Klarheit darüber, inwieweit die Eltern erkannt haben, dass Tim Probleme hat. Und wenn sie es wirklich nicht wussten, dann müssen sie im Prozess beantworten, warum dies so war."

Der bisherige Verlauf des Verfahrens lässt jedoch vermuten, dass Jörg K. den Bedürfnissen der Angehörigen der Opfer nach umfassender Aufklärung eher nicht entsprechen wird. Sein Anwalt wollte den Fall diskret mit einem Strafbefehl beenden. Auch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft tendierte zunächst dazu, wurde dann aber von der Generalstaatsanwaltschaft zurückgepfiffen. Zu Recht, meint Hinterbliebenen-Anwalt Jens Rabe: "Manche sagen, warum zerrt ihr den Mann in die Öffentlichkeit? Aber wir haben 15 Todesopfer und viele Verletzte und wir reden eben nicht über einen Verkehrsunfall." Die Angehörigen, sagt Rabe, bräuchten den Prozess zur Bewältigung der Geschehnisse, "auch wenn er schmerzhaft ist". Gisela Mayer will sich diesen Schmerz antun. Auch wenn sie seit dem 11. März 2009 weiß: "Zeit heilt nicht alle Wunden."

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