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Bewegende Doku über Fettsucht "Ich bin ein abschreckendes Beispiel!"

Die bewegende Dokumentation „A Life Apart: The Toll of Obesity“ zeichnet den Kampf des Hector Garcia jr. gegen die Fettsucht, den der 49-jährige US-Amerikaner leider verlor.


Ich bin schon mein ganzes Leben lang übergewichtig. Seit ich fünf bin, war ich ein dickes Kind, das diese Riesen-Jeans getragen hat. Wie hießen die noch gleich? Das war ich. Ich bin ein Ritter ohne Furcht und Tadel, nur mir fehlt die passende Rüstung dazu. Es ist, als wärst du gefangen. Gefangen in deinem eigenen Körper.


In der Grundschule haben mich alle Kinder wie einen Außenseiter behandelt, deshalb habe ich die sozialen Fähigkeiten nicht entwickelt, die ich hätte entwickeln sollen. Wie man mit Leuten spricht, wie man mit Mädchen spricht. Ich hab diese Dinge nicht gelernt. Denn das sind Dinge, die man als Kind lernt. Und ich war so damit beschäftigt, mich vor dem Gespött der anderen und sogar vor körperlichen Angriffen zu verteidigen.


Ich lernte schon sehr jung, dass es für mich besser ist, allein zu bleiben. Jeder ist nach etwas süchtig, es kommt nur drauf an nach was. Manche Leute trinken zuviel Alkohol, andere missbrauchen Drogen. Ich übertreibe es beim Essen.  Ein Alkoholiker kann den Alkoholkonsum komplett einstellen, bei Drogensüchtigen ist es dasselbe. Ich kann nie ganz aufhören zu essen. Ich muss immer ein bisschen von dem zu mir nehmen, nach dem ich süchtig bin, das macht es so schwer.


Es ist als würde ein Drogensüchtiger nur ein bisschen Kokain zu sich nehmen. Das macht es so schwer, dass man das Essen nicht komplett lassen kann, man muss einfach essen.
Die Leute urteilen immer über mich weil ich übergewichtig bin. Dabei kennen sie mich gar nicht.


Es ist eigenartig, denn viele Leute sagen über mich: Er ist ein großartiger Kerl. Und es ist fast so, als würde sie das erstaunen. Als hätten sie eine niedrigere Erwartungshaltung, nur weil ich dick bin. Ich bin ein Mensch, der auf zweite Eindrücke angewiesen ist, denn der erste Eindruck den Leute von mir haben ist: Er ist fett, er ist undiszipliniert.



Das mag ja wahr sein, aber das macht mich dennoch nicht zu einem schlechten Menschen. Die Leute versuchen selten, mich besser kennenzulernen. Das kann ich sogar verstehen, ich weiß wie die Welt ist. Wo sonst sieht man Leute, die sich über jemand lustig machen. Und die damit davonkommen, weil es ein Dicker ist?


Ich denke, es war jemand aus einer der Adipositas-Kliniken, in die ich wollte, der mich gefragt hat: Warum überfrisst du dich ständig? Und ich sagte: Das hat mich bis jetzt noch niemand wirklich gefragt. Und ich musste darüber wirklich lange nachdenken. Ich sagte: Weil mich das Essen nicht zurückweist. Essen ist das einzige, das mich nicht bloßstellt oder mich bedrängt.



Es war wie mein Freund. Und als nächstes wurde es zu meiner Krücke. Das war verhängnisvoll. Ich habe einen hohen Preis gezahlt. Einen extrem hohen Preis. Und ich zahle ihn immer noch. Ich wünsche niemandem, das durchzumachen, was ich durchmache, an einen Stuhl gefesselt zu sein, während das Leben da draußen vorbeizieht und man nicht daran teilhaben kann. Es ist schwer, nie Kinder zu haben! Nicht zu heiraten und niemandem ein guter Vater sein zu können.

 
Wenn ich ein Bild von meinem Leben malen müsste, würde ich ein Kind malen, hinter einem Schaufenster malen, das sein Gesicht an die Scheibe presst und sieht wie die Welt draußen vorüberzieht. Das Leben geht weiter und ich verpasse es und ich verpasse es schon mein ganzes Leben lang, mit einigen wenigen Ausnahmen, als ich mal Gewicht verloren hatte und Dinge unternehmen konnte.



Die Jahre der Fettleibigkeit haben ihre Spuren hinterlassen. Die Schäden an Hectors Knien machten es schwer für ihn, zu gehen. 2010 hatte ich das volle Gewicht von 272 Kilogramm und bin verzweifelt. Ich gehe zu meinem Kniespezialisten und der sagt: Wenn Sie 136 Kilogramm abnehmen, werde ich Ihre Knie ersetzen. Und ich sagte: Wow, großartig!


So hab ich mich darauf konzentriert von meinem Gewicht runterzukommen und es wieder einmal geschafft! Ich schafft es runter auf 117 Kilo. Ich denke jetzt wird es anders sein, sonst gibt es für mich kein Morgen mehr. Zu Scheitern bedeutet für mich den Tod. Ich kann mir keine Niederlage mehr leisten. Ich hab keine Wahl. Ich muss überleben. Ich muss weiterhin Gewicht verlieren, denn die Alternative ist dauerhaft.


Vier Knie-OPs in einem Jahr haben mich zurückgeworfen. Denn das ganze Jahr konnte ich nichts machen, ich lag nur rum, immer mit dem Bein hoch, bei dem das Knie ersetzt wurde. Ich war auf Reha und es war für mich sehr schwer weil ich nicht das machen konnte, was ich davor gemacht habe. Man kann nicht ins Wasser. Oder aufs Laufband. Man kann nichts von alldem machen, weil man sich ja regenerieren muss.



Und für jemanden wie mich, der eigentlich Disziplin braucht und an bestimmten Vorhaben dran bleiben muss, wegen meiner Essstörung, ist das eben der Tod. Das zerstörte mich total, denn ich nahm wieder an Gewicht zu. Langsam aber sicher kamen die Kilos zurück. Und das ist der Kampf den ich gerade kämpfe, weil ich das ganze Gewicht wieder draufhabe.



Es ist schwer um mein Leben zu kämpfen, denn ich empfinde es nicht als Leben, es ist einfach nur meine Existenz. Ich bin 48 Jahre alt und habe nie gelebt. Das ist was ich fühle. Ich existiere bloß. Ich erinnere mich an keine Zeit in der ich wirklich glücklich war. In meinem ganzen Leben erinnere ich mich an gute Zeiten mit meiner Familie, an schöne Momente, aber ich war nie so richtig glücklich und ich weiß auch nicht ob ich das je sein werde.


Und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass das vielleicht mein Leben ist. Dass ich mein ganzes Leben lang allein sein werde. Ein Dasein zu führen, das einsam ist. Was ich aber nicht hoffe, denn Gott hat mir ein großes Herz gegeben! Aber nach 48 Jahren ist es schwer, das zu ignorieren.


Ich will nicht, dass mich die Leute bemitleiden. Ich will, dass sie Mitgefühl haben, Mitgefühl für andere, die genauso sind. Meistens sind wir nämlich nicht so, weil wir es wollen, sondern weil bestimmte Lebensumstände uns dazu gemacht haben. Das ist der Weg den wir gehen müssen und wir wissen nicht, wie wir davon loskommen.



Happy Birthday lieber Hector! Wir zählen nicht mehr mit oder? Nein, wir zählen nicht mehr. Nein, seh' ich aus wie 49, eben nicht also. Schneiden wir den Kuchen auf? Genau, du siehst gut aus für 49. Ich bin ein abschreckendes Beispiel, mein ganzes Leben ist ein abschreckendes Beispiel und ich hoffe, dass dieses abschreckende Beispiel nicht zu meinem Tod führen wird. 


Im Januar 2013 wurde bei Hector COPD diagnostiziert. Eine chronische Lungenerkrankung. Es fühlt sich an wie ertrinken, aber ohne Wasser. Man versucht zu atmen, aber es passiert nichts. Nicht atmen zu können, ist vollkommen neu. Das ist ein ganz neuer Grad der Hilflosigkeit. Hector geht von seinem Stuhl zur Tür, um sie zu öffnen, eine Entfernung von 12 Metern. Sobald er die Tür geöffnet hatte, kollabierte er auf meinem Stuhl und sagte seine letzten Worte: "Mama ich kann nicht atmen, Mama ich kann nicht atmen!" Und das war's. Und ich vermisse ihn so sehr, ich weiß nicht, was ich ohne ihn machen soll. Alles erinnert mich an ihn. Wenn ich in sein Zimmer gehe, sein Stuhl.


Er hatte immer mehr Probleme mit COPD, er hatte sehr viele Probleme, er konnte nicht genug Sauerstoff in seine Lungen bekommen. Und ich wusste, dass die Zeit kommen würde, ich wusste nur nicht wann, aber ich wusste, dass er es wusste, denn er sagte zu mir: "Mama, weißt du ich werde an COPD sterben." Und ich sagte: "Nein Hector, sag das nicht!" Ich hasste es wenn er so redete.


Er sagte: "Ich möchte, dass die Leute erfahren was mit mir passiert ist. Und ich möchte nicht, dass noch irgendjemand sonst so leiden muss wie ich. Ich will nicht, dass Leute über sie lachen und auf sie herabschauen." Und mein Sohn war klug, er war so talentiert, ein begabter Schriftsteller.



Er war mehr als mein Onkel, er war mein bester Freund. Er war ein guter Mensch, kein schlechtes Wort kann über ihn gesagt werden. Er hatte genug Liebe, Freude und Vertrauen in seinem Herzen, das für eine Ewigkeit reicht. Mein Onkel verdient Glück, er verdient ein Leben ohne Schmerz. Und das hat er jetzt. Er ist jetzt frei und bei meiner Mutter und sie warten dort auf uns.



Wenn ich den Leuten nicht Angst einjage, wer dann? Wenn sie auf mich nicht hören, hören sie auf keinen. Ich bin das Worst-Case-Szenario, also wenn man denkt, dass so etwas nicht passieren kann, bin ich hier um zu zeigen, dass es doch passieren kann.



Ich möchte ein bisschen rumfahren, mit den Fenstern unten und wie ein Hund den Kopf rausstrecken. Ich habe es geliebt, zu fahren. Ich möchte an den Strand. Ich hab schon vergessen, wie das ist.
 

Wenn es ganz schlimm wurde mit der Sucht nach Essen, wog Hector Garcia jr. 288 Kilogramm. Seinen Körper empfand er wie ein Gefängnis. Die bewegende Geschichte über seinen verlorenen Kampf gegen die Fettsucht.

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