Frankreich "Er ist verrückt, er hat geschossen", sagte Nahel M. noch – Beifahrer schildern dessen Tod

An einem gelben Auto in Frankreich stehen zwei Motorrad-Polizisten mit gezückten Waffen
Bei dieser Polizeikontrolle hat Florian M. – einer der Polizisten – den 17-jährigen Nahel M. im Auto erschossen. Seitdem kommt Frankreich nicht zur Ruhe
© Uncredited/@Ohana_FNG/AP / DPA
Eine Woche ist es her, dass Nahel M. in Nanterre von einem Polizisten erschossen wurde. Zwei Jugendliche saßen mit im Auto – und erzählen einer Zeitung, wie sie den Tod ihres Freundes erlebt haben.

Noch ermitteln die französischen Behörden, wie es zu den tödlichen Schüssen auf Nahel M. gekommen ist. Während der tatverdächtige Polizist Florian M. in Untersuchungshaft sitzt, meldeten sich Nahel M.s Mitfahrer zu Wort. In der Tageszeitung "Le Parisien" schilderte ein 17-Jähriger, wie er Nahels Tod vom Beifahrersitz aus erlebt haben will. Sein Kindheitsfreund Nahel und er seien von Motorrad-Polizisten verfolgt worden, weil sie schnell auf einer Busspur gefahren seien, erklärte Fouad (der anders heißt) laut der Zeitung. Dann seien sie im Verkehr stecken geblieben.

Die Polizisten seien von ihren Motorrädern abgestiegen und auf das Auto zugelaufen. Dann hätten sie Nahel aufgefordert, die Fenster zu öffnen – was der getan habe. Ein Polizist sei auf Höhe der Fahrertür und der andere auf Höhe des vorderen Kotflügels stehengeblieben. "Der Motorrad-Polizist am Fenster sagte: Mach den Motor aus! Und er verpasste Nahel einfach so einen Schlag", sagte Fouad der Zeitung. Laut Fouad war Nahel "etwas benommen" und "in Panik". Nahel habe nicht gewusst, was er tun sollte. "Ihm war schwindelig, er konnte nichts tun, nicht einmal sprechen. Er war wirklich traumatisiert", erzählte Foud. Dann habe sich einer der Polizisten ins Auto gebeugt und Nahel noch einmal geschlagen. Er habe zu Nahel gesagt: "Mach den Motor aus, sonst knall ich dich ab." Der zweite Polizist habe "so etwas wie: Ich werde dir eine Kugel in den Kopf jagen" gesagt.

Freund schildert den Tod von Nahel M.

Laut Fouad rutschte Nahel beim Versuch, sich vor einem weiteren Schlag zu schützen, mit dem Fuß von der Bremse des Automatik-Autos ab. Als der Wagen daraufhin anrollte, habe der Polizist am Fenster zu seinem Kollegen gesagt: "Erschieß ihn!" Da habe der Motorrad-Polizist am Kotflügel geschossen. Nahel habe mit dem Tode gerungen, sein Fuß habe aufs Gaspedal getreten, so Fouad. Nahel sei noch drei Sekunden ansprechbar gewesen und habe gehupt. "Dann fing er plötzlich an zu zittern. Er hat mir nicht mehr geantwortet", sagte Fouad "Le Parisien". Der Wagen sei an den Straßenrand gekracht und Fouad will in Panik davongelaufen sein. "Ich hatte Angst. Angst, dass jemand auf mich schießt.

Auch der Junge, der auf der Rückbank saß, äußerte sich. Allerdings sprach sein Vater im Namen des 14-Jährigen, den "Le Parisien" Adam nennt. Demnach sei Adam am Dienstagmorgen vergangener Woche auf dem Weg zur Schule gewesen, als er Nahel in einer gelben Mercedes A-Klasse traf. Nahel, Adams "großer Bruder aus der Nachbarschaft", habe dem Jungen sofort angeboten, ihn zu den Jahresabschlussprüfungen zur Schule zu fahren. Daraufhin sei Adam hinten ins Auto eingestiegen, so sein Vater laut der Zeitung. "Mein Sohn wusste nicht, dass Nahel weder einen Führerschein hatte, noch dass er minderjährig war." Nahel habe nicht sofort angehalten, als die Motorrad-Polizisten dazu aufgefordert hätten.

Polizisten sollen Nahel geschlagen haben

Den Rest der Erlebnisse hat Adam aufgeschrieben, laut "Parisien" besagt der schriftliche Bericht, dass "die Polizisten (...) ihre Waffen auf Nahel gerichtet haben". Nahel habe "ungefähr drei" Schläge abbekommen und versucht, "seinen Kopf zu schützen". Einer der Polizisten, so Adam, habe gesagt, er werde ihm "eine Kugel in den Kopf schießen". Dann habe Nahels Fuß "die Bremse losgelassen, wahrscheinlich aus Panik, als er versuchte, sich zu schützen". Das Auto sei von alleine weitergefahren, weil es ein Automatik gewesen sei. "Und der Polizist hat seinem Kollegen gesagt, er solle schießen. Und der Schuss ging los", schreibt Adam laut der Zeitung in seinem Text.

Adam habe zunächst geglaubt, der Schuss habe Nahel verfehlt. Der habe noch gesagt: "Er ist ein Verrückter, er hat geschossen". Dann habe der Wagen einen Satz gemacht und am Straßenrand etwas gerammt. "Da war kein Blut, aber er [Nahel, d. Red.] war zur Seite geneigt", beschreibt Adam die Situation. Er habe wegen der Kindersicherung nicht sofort aussteigen können, sei dann aber doch aus dem Auto gekommen. Sofort habe einer der Polizisten ihn angesprochen. "Ich habe meine Hände gehoben, damit er nicht auf mich schießt", berichtet der Teenager weiter. "Ich habe ihm gesagt, dass ich nichts getan habe, und er hat geantwortet: Halt die Klappe. Und er hat mir Handschellen angelegt."

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Polizisten in Nanterre streiten nach dem Schuss

Vom Polizeiauto aus habe er die Wiederbelebungmaßnahmen an Nahel mit ansehen müssen. Adam will auch mitbekommen haben, wie der eine Polizist den anderen angefahren habe. Er soll seinem Kollegen gesagt haben, dass er "nicht hätte schießen sollen, weil sie weiter hinten eine Straßensperre errichten wollten". Noch am Nachmittag sei Adam aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden, sagt sein Vater. "Er ist ein Kind. Er scheint es noch nicht zu begreifen. Jedes Mal sagt er, dass es ihm gut geht, aber ich kenne meinen Sohn, ich weiß, dass er leidet. Er hat viele Aussetzer. Im Moment schläft er super schlecht", berichtet der Erwachsene.

Adams Familie fordert eine Verurteilung des Polizisten, der Nahel "wie ein Kaninchen" erschossen habe. Adams Vater glaubt allerdings nicht, dass es Gerechtigkeit geben wird. "Ich bin sicher, dass der Polizist, der Nahel erschossen hat, freigesprochen wird", sagt er. "Das ist immer so."

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