Schon die fünfte Nacht in Folge ist es in Frankreich zu gewalttätigen Protesten gekommen. Hintergrund ist der tödliche Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen bei einer Verkehrskontrolle nahe Paris.
Landesweit sind in Frankreich in der Nacht zu Sonntag mindestens 719 Menschen festgenommen worden. Das ging am Sonntagmorgen aus einer vom Innenministerium auf Twitter veröffentlichten ersten Bilanz hervor. 45 Polizisten seien bei den Ausschreitungen verletzt worden, hieß es weiter. Dank des Einsatzes von 45.000 Polizisten und Tausenden Feuerwehrleuten sei es eine "ruhigere Nacht" gewesen als am Vortag. In den frühen Morgenstunden hatte Innenminister Gérald Darmanin noch von gut 420 Festnahmen gesprochen. In der Nacht zum Samstag waren es noch über 1300 Festnahmen und 79 verletzte Polizisten.
Gezielte Attacke auf Bürgermeister
In einem Vorort von Paris haben Demonstranten mit einem Auto das Haus eines Bürgermeisters gerammt. Randalierer seien in der Nacht zum Sonntag mit einem Auto gezielt in das Haus gerast, anschließend hätten sie ein Feuer gelegt, erklärte Vincent Jeanbrun, Bürgermeister von L'Haÿ-les-Roses bei Paris, im Onlinedienst Twitter. Seine Frau und eines seiner beiden Kinder seien "verletzt worden", schrieb Jeanbrun. Er sei während des Vorfalls im Rathaus des Stadt gewesen, die südlich von Paris liegt.
Besonders in Marseille, Lyon und Grenoble wurde die Polizeipräsenz massiv verstärkt. Nachdem in Marseille zuvor eine Waffenkammer geplündert worden war, war die Polizei dort nun mit gepanzerten Fahrzeugen, Hubschraubern und Spezialtruppen im Einsatz.
In Marseille sei die Lage angespannt, aber unter Kontrolle, teilte die Stadtverwaltung am Abend mit. Den ganzen Abend über hätten sich Gruppen gebildet, um Schaden anzurichten, teilte die Präfektur Bouches-du-Rhône laut "Le Parisien" mit. Die Polizei habe versucht, die Menschen mit Tränengas auseinanderzutreiben.
Frankreich: Proteste nach Tod von Nahel M.
Die Proteste und Ausschreitungen waren durch den Tod des 17-jährigen Nahel M. ausgelöst worden. Der Jugendliche, dessen Familie aus Algerien stammt, war am Dienstag bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre von einem Polizisten erschossen worden.
Der 17-jährige Nahel war in Nanterre am Steuer eines Autos von einer Motorradstreife gestoppt worden. Als der junge Mann plötzlich anfuhr, fiel ein tödlicher Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten. Der Polizist, der für seinen Tod verantwortlich gemacht wird, kam in Untersuchungshaft. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingeleitet.
Der Tod des Jugendlichen ließ den Groll vieler Menschen gegen mutmaßliches "racial profiling" der Polizei in den einkommensschwachen und multikulturellen Vororten Frankreichs wieder aufflammen. Von "racial profiling" ist die Rede, wenn Menschen wegen ihrer äußeren Merkmale, etwa der Hautfarbe, kontrolliert werden. In Frankreich wird immer wieder übermäßige Polizeigewalt angeprangert. Nach Verkehrskontrollen starben im vergangenen Jahr 13 Menschen, so viele wie noch nie.
Der Jugendliche wurde am Samstagnachmittag in seinem Heimatort Nanterre nahe Paris beigesetzt. Beobachter hatten zuvor befürchtet, dass die Beerdigung erneut Öl ins Feuer gießen könnte. Doch in Nanterre blieb es "Le Parisien" zufolge bis Mitternacht ruhig.