Wann ist es noch ein Flirt, und wo beginnt die sexuelle Belästigung? Und wann geht es um Gegenwehr von Frauen gegen männliche Übergriffe – und wo fängt die Verleumdung von Männern an? In Frankreich wurde nun eine prominente Journalistin verurteilt, die einem ehemaligen TV-Manager öffentlich sexuelle Belästigung vorgeworfen hatte. Sandra Muller, die Erfinderin des Hashtags #balancetonporc ("Verpfeif' das Schwein") hatte den damaligen Chef eines französischen Privatsenders, Eric Brion, namentlich auf Twitter sexuelle Belästigung vorgeworfen.
Prominente Metoo-Aktivistin in Frankreich
Muller gilt als Begründerin der Metoo-Szene in Frankreich und hatte auf Twitter Frauen dazu aufgefordert, Männer öffentlich an den Pranger zu stellen, von denen diese sexuell belästigt worden seien. In einem Tweet warf sie Brion vor, sie belästigt zu haben – und fügte deftige Zitate hinzu, die er gesagt haben soll.
Eben diesen Tweet muss Muller nun löschen, verfügte das Gericht in Paris. Außerdem muss sie dem ehemaligen Fernsehmanager 20.000 Euro zahlen. Das ist etwas weniger, als er sich erhofft hatte. Brion hatte 65.000 Euro Schadenersatz und Gerichtskosten verlangt.
Die #Metoo-Aktivistin äußerte sich enttäuscht über das Urteil und will weiter kämpfen. Mullers Anwalt, Francis Szpiner, kündigte Rechtsmittel an. Der Jurist nannte das Urteil "antiquiert", es entspreche nicht der heutigen Zeit.
"Ich habe heute verloren, aber andere Frauen haben gewonnen", sagte Muller im Anschluss an das Urteil in einer Pressekonferenz in Anspielung auf die weltweite #Metoo-Kampagne, in der unzählige Frauen Männern öffentlich sexuelle Belästigung vorwarfen. In Gang kam die #Metoo-Bewegung im Herbst 2017 im Zuge des Skandals um den US-Filmproduzenten Harvey Weinstein, dem eine ganze Reihe von Frauen Belästigung vorwirft.
Im selben Jahr wie der Weinstein-Skandal
Auch die Social-Media-Attacke Mullers auf Brion fand 2017 statt. Sie beschuldigte ihn damals auf Twitter, dass er sie bei einer Veranstaltung in Cannes mit Worten gedemütigt habe. "Du hast große Brüste. Du bist genau mein Typ. Ich werde dich die ganze Nacht zum Orgasmus bringen", habe Brion damals zu ihr gesagt. Diese herabsetzende Erfahrung habe sie dazu ermutigt, eine Bewegung zu starten, die "sich durch alle Gesellschaftsschichten verbreitet", sagte Muller nun vor Gericht. Sie verteidigte ihr Recht auf freie Meinungsäußerung. Mit ihren Tweets habe sich auch andere dazu ermutigen wollen, ihre Erfahrungen zu teilen. Sexuelle Übergriffe müssten ernst genommen werden.
Die Gegenseite freilich bewertet den Social-Media-Feldzug dagegen ganz anders. Brion gab an, Muller habe mit ihren Tweets eine nicht aufzuhaltende Maschinerie in Gang gesetzt. Er habe wegen der Kampagne hohen persönlichen und beruflichen Schaden genommen. Mullers Tweet habe ihn fälschlicherweise als Sexualstraftäter dargestellt, das öffentliche Aufsehen habe seine Karriere ruiniert.
Muller sei mit ihrem Tweet vage geblieben, so dass man habe annehmen können, die beiden hätten zusammengearbeitet und es habe eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stattgefunden. Dabei seien seine unangemessenen Worte, für die er sich entschuldigt habe, auf einer Cocktailparty gefallen. Die beiden seien nie Kollegen gewesen. Wegen des mitschwingenden Vorwurfs der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz sei es nach Mullers Tweet für ihn sehr schwer gewesen, weiterzuarbeiten. Er sei weltweit verleumdet worden.
Gibt es ein "Recht aufs Flirten"?
Der frühere TV-Manager bestreitet dabei gar nicht, dass er Muller sexuelle Avancen gemacht habe. So gab er vor einigen Monaten in der französischen Zeitung "Le Monde" zu, "unangebrachte Bemerkungen" gemacht zu haben. Vor Gericht berief er sich auf sein "Recht aufs Flirten". Er habe Muller attraktiv gefunden, aber keine weiteren Avancen gemacht, nachdem er bei ihr abgeblitzt sei.
Quellen: BBC, CNN, "Frankfurter Allgemeine"