Nach Urteil gegen Seismologen Erdbeben-Experte tritt zurück

Ein italienisches Gericht hat sieben Seismologen verurteilt, weil sie nicht genügend vor Erdbeben gewarnt hatten. Kollegen halten das Urteil für einen Skandal - Seismologie sei keine Wahrsagerei.

Italiens führender Experte für die Bewältigung von Naturkatastrophen, Luciano Maian, ist zurückgetreten. Zuvor hatte ein Gericht in L'Aquila sieben seiner Kollegen der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Die Seismologen hätten nur ungenügend vor dem Erdbebenrisiko in der Region gewarnt und wurden zu jeweils sechs Jahren Haft verurteilt.

"Ich sehe nicht die Bedingungen, um in Frieden zu arbeiten", sagte Maiani am Dienstag der Nachrichtenagentur ANSA. Maiani war Präsident einer von der Regierung ernannten Expertenkommission, die Behörden zu den Risiken von Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Chemieunfällen und anderen Katastrophen berät. Weitere Mitglieder würden ebenfalls ihre Ämter zurücklegen, kündigte Maiani an.

Exakte Erdbebenvorhersage nicht möglich

Der Richter Marco Billi hatte die Angeklagten am Montag verurteilt. Sie trügen durch ihre falsche Einschätzung der Gefahr Mitschuld am Tod der 309 Opfer des Erdbebens vom 6. April 2009. Die Kommissionsmitglieder waren am 31. März 2009 bei einem Treffen in L'Aquila zu dem Schluss gekommen, dass trotz einer Reihe von Erdstößen in der Region kein erhöhtes Risiko bestehe.

Der damalige Vize-Direktor der Katastrophenschutzbehörde, Bernardo De Bernardinis, hatte in den Medien erklärt, es bestehe "keine Gefahr". In einer besonders umstrittenen Äußerung riet er der Bevölkerung, sich bei einem Glas Wein zu entspannen.

Zum Prozessauftakt hatten mehr als 5000 Wissenschaftler in einem offenen Brief beklagt, dass den Angeklagten ein Strafprozess gemacht werde, obwohl die Vorhersage von Erdbeben bislang technisch unmöglich sei.

"Krasses Fehlurteil"

Scharfe Kritik an der Verurteilung der Seismologen kommt auch aus Deutschland. Christian Bönnemann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und Leiter des Seismologischen Zentralobservatoriums der BGR in Hannover sagte: "Ich halte das für ein krasses Fehlurteil". Bönneman vertritt ebenfalls die Meinung, dass die Wissenschaft einfach nicht in der Lage sei, Erdbeben konkret vorherzusagen.

Zuverlässige Aussagen seien nur über die prinzipielle Gefährdung eines Gebietes möglich. Sollte das Urteil von L'Aquila nicht in der nächsten Instanz aufgehoben oder zumindest drastisch reduziert werden, befürchtet Bönnemann gravierende Folgen für öffentliche Aussagen von Erdbebenforschern.

DPA
ono/DPA/AFP

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