Die historische Rede von Wladimir Putin, in der er der Ukraine quasi das Existenzrecht abspricht, sorgt weiter für Stirnrunzeln. Hat Putin gerade die Welt neu geordnet? Und was ist jetzt von Russland zu erwarten? stern-Auslandsreporterin Bettina Sengling ordnet ein.
Drohende Eskalation Hat Putin mit seiner Rede die Welt neu geordnet? stern-Expertin zur Strategie Russlands

Wladimir Putin wandte sich in einer rund einstündigen Rede im Staatsfernsehen an sein Volk
© Alexey Nikolsky/Sputnik/ / AFP
Sehen Sie im Video: Ist Russlands Strategie jetzt endlich klar? stern-Expertin ordnet bizarre Putin-Rede ein.
Bettina Sengling: Nach diesem ganzen Trommelwirbel, den er in dieser Rede aufgebaut hat, hatte man ja an manchen Stellen schon den Eindruck, gleich sagt er: Wir erobern Kiew.
Ich weiß nicht, wie man sagt, ob man sagen kann, er die vorgeführt. Er fühlt sich halt unmöglich auf. Er bringt alles durcheinander. Da tut man Trump unrecht, denke ich mir mal. Putin ist da nicht nur ein autoritäres Regime, sondern das trägt ja schon diktatorische Züge.
Hendrik Holdmann: In sozialen Medien wurde die Putin Rede mit 9/11 verglichen. Welche Sprengkraft steckt wirklich in Putins Worten?
Bettina Sengling: Putins Rede war sehr emotional und Putins Rede war sehr authentisch. Man hat gemerkt, dass ihn das wirklich bewegt und ich glaube, dass er das auch ernst meinte, dass das jetzt keine Strategie ist. Also er ist davon überzeugt, dass die Ukraine eben keine eigene Nation ist, kein eigener Staat ist, sondern im Grunde ein künstliches Land, dem er damit auch die Existenzberechtigung abgesprochen hat. Diese These war nicht ganz neu. Die hat er schon mal aufgeschrieben im letzten Sommer in einem Aufsatz, da lag die gleiche Grundidee dahinter Jeder macht sich weiterhin Was ist jetzt wirklich das, was Putin vorhat? Nach diesem ganzen Trommelwirbel, den er in dieser Rede aufgebaut hat, hatte man ja an manchen Stellen schon den Eindruck. Gleich sagt er: Wir erobern Kiew oder gehen bis Lemberg in der Westukraine vor. Und dann war man fast erleichtert am Ende, dass er dann sagte: Wir erkennen eben diese sogenannten Separatistengebiete an. Womit man jetzt immer noch nicht so richtig weiß, wie es weiter geht.
Hendrik Holdmann: Lange wurde ja spekuliert, welche Strategie Putin verfolgt. Über Wochen wurde darüber gesprochen. Ist das jetzt klarer? Worauf müssen wir uns einstellen?
Bettina Sengling: Letztlich weiß man immer noch nicht, welche Strategie dahinter steht. Das einzige wissen wir jetzt: er hat quasi das Minsker Friedensabkommen gekillt. Und das birgt natürlich zahlreiche Gefahren und auch Möglichkeiten. Also die beste Möglichkeit wäre, er geht jetzt wirklich nur – in Anführungszeichen nur – in dieses Gebiet hinein und bewegt sich da nicht weiter. Schießt keine Kindergärten mehr ab und keine Wohnhäuser, wie in den letzten Tagen zahlreich passiert, sondern er bleibt einfach in den Separatistengebieten stehen. Die sind dann anerkannt. So etwas haben wir schon mal in anderen Gebieten in Südossetien gesehen und bewegt sich eben nicht weiter. Das schlimmere Szenarium ist: Er bewegt sich weiter. Denn die Front wurde quasi willkürlich festgelegt. Es gab gestern in einer Versammlung im Föderationsrat die Andeutung, dass man sich eventuell mit diesen Separatistengebieten nicht zufrieden gibt, denn die sind eben willkürlich festgelegt. Da ist einfach der Frontverlauf von 2015 festgelegt worden und er durchschneidet zum Beispiel ganze Dörfer. Und da könnte Putin jetzt sagen: Wir nehmen nicht nur diese Separatistengebiete, sondern wir nehmen die Verwaltungseinheiten Donezk und Luhansk. Das würde bedeuten, dass die Separatistengebiete nur ein Drittel der Fläche einnehmen und dass man jetzt quasi hinausgeht über die jetzige Front und ganze Gebiete dazu erobern muss. Nach wie vor denkbar ist, dass er sich einen Landweg zur Krim erobert. Und denkbar ist auch nach wie vor noch eine große Invasion.
Hendrik Holdmann: Zwei, die sich sehr für das Minsker Friedensabkommen eingesetzt haben, sind der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Wurden diese beiden jetzt vorgeführt durch diesen sehr radikalen, rabiaten, einseitigen Abbruch der Gespräche von Putin? Und was sollte Europa jetzt tun?
Bettina Sengling: Ich weiß nicht, wie man sagt, ob man sagen kann: Er die vorgeführt. Er fühlt sich halt unmöglich auf. Er bringt alles durcheinander, er ist aggressiv der Ukraine gegenüber. Und vorgeführt – also Olaf Scholz und Emmanuel Macron haben natürlich versucht, ihn davon diesen von diesen Schritten abzubringen. Aber Putin zeigt eben und hat eben auch in dieser Rede lang und breit erklärt, warum er jetzt meint, dass der Westen sowieso böse ist und dass er ihm sowieso nicht traut. Und der Westen würde ihn ja sowieso nur über den Tisch ziehen und der Westen hätte die Ukraine gekauft und die Revolution gekauft und er ließ da seinem Hass freien Lauf. Und deswegen kann man nicht sagen, dass er jetzt Scholz oder Macron vorgeführt hat. Weil er sowieso so unmöglich, um es jetzt mal so einfach als Sprache zu sagen, so unmöglich aufführt.
Hendrik Holdmann: Wenn man die Rede gestern von Putin sich anhört, dann gibt es klare Parallelen zu Trump, oder?
Bettina Sengling: Ich kann mich jetzt nicht erinnern, dass Trump so aggressiv sich verhalten hätte gegenüber Nachbarländern. Putin ist ja jetzt auch schon in diesem Krieg, der ja nicht anfängt, sondern den es ja schon seit 2014 gibt, ist er ja schon eben seit Jahren verwickelt. Und er wird ja auch beschuldigt, die Wahlen in den USA beeinflusst zu haben, Fakenews zu verbreiten, auf allen möglichen Kanälen. In seinem eigenen Land werden Oppositionelle eingesperrt. Das kann man mit Trump gar nicht vergleichen, denn immerhin hat Trump ja sein Präsidentenamt geräumt. So etwas würde ja Putin schon nicht einfallen. Es gibt ja noch nicht einmal einen normalen Machtwechsel. Da tut man Trump unrecht, denke ich mir mal. Putin ist da nicht nur ein autoritäres Regime, sondern das trägt ja schon diktatorische Züge.
Hendrik Holdmann: Inwiefern erleben wir gerade eine Neuordnung der Welt? Was hat die Rede von Putin, die wir gestern gehört haben, damit zu tun?
Bettina Sengling: Russland hat eben zum zweiten Mal gezeigt, dass es sich an völkerrechtliche Grenzen und Abkommen nicht hält. Also es wurde immer wieder gewarnt jetzt seit Monaten, nicht einzumarschieren und nicht die Eskalation gegen die Ukraine weiter auszubauen. Und Putin hat eben gezeigt, wie schon 2014 auf der Krim, dass er sich daran nicht hält. Und er ist mit seinen Panzern in dieses Gebiet gegangen, was eben zum Territorium der Ukraine gehört.
Hendrik Holdmann: Russland fühlt sich vom Westen bedroht. Mal angenommen, die NATO würde einen Schritt auf Putin zugehen wollen, müssten sich Polen, Ungarn und Co. von der NATO lossagen?
Bettina Sengling: Das ist ja eine theoretische Frage. Also dazu wird es ja nie kommen, weil der Westen ja ganz klar sagt. Und das ist ja auch eine wichtige Prämisse, dass sich alle Länder, ganz egal wie klein oder groß sie sind, eben aussuchen können, wie sie sich entscheiden und welchem Bündnis sie sich anschließen. Ich kann mir keine Weltordnung vorstellen, in dem jetzt Russland bestimmt, ob jetzt Polen zur EU gehört oder ob jetzt die Polen sich womöglich von der NATO ablösen kann, also davon lösen müsste. Davon kann nicht die Rede sein. Und das weiß Putin auch, dass er so was gar nicht fordern kann. Darauf kann die NATO nicht eingehen, denn damit hätte sie sich ja quasi ihre eigene Existenzberechtigung abgesprochen.
Bettina Sengling: Nach diesem ganzen Trommelwirbel, den er in dieser Rede aufgebaut hat, hatte man ja an manchen Stellen schon den Eindruck, gleich sagt er: Wir erobern Kiew.
Ich weiß nicht, wie man sagt, ob man sagen kann, er die vorgeführt. Er fühlt sich halt unmöglich auf. Er bringt alles durcheinander. Da tut man Trump unrecht, denke ich mir mal. Putin ist da nicht nur ein autoritäres Regime, sondern das trägt ja schon diktatorische Züge.
Hendrik Holdmann: In sozialen Medien wurde die Putin Rede mit 9/11 verglichen. Welche Sprengkraft steckt wirklich in Putins Worten?
Bettina Sengling: Putins Rede war sehr emotional und Putins Rede war sehr authentisch. Man hat gemerkt, dass ihn das wirklich bewegt und ich glaube, dass er das auch ernst meinte, dass das jetzt keine Strategie ist. Also er ist davon überzeugt, dass die Ukraine eben keine eigene Nation ist, kein eigener Staat ist, sondern im Grunde ein künstliches Land, dem er damit auch die Existenzberechtigung abgesprochen hat. Diese These war nicht ganz neu. Die hat er schon mal aufgeschrieben im letzten Sommer in einem Aufsatz, da lag die gleiche Grundidee dahinter Jeder macht sich weiterhin Was ist jetzt wirklich das, was Putin vorhat? Nach diesem ganzen Trommelwirbel, den er in dieser Rede aufgebaut hat, hatte man ja an manchen Stellen schon den Eindruck. Gleich sagt er: Wir erobern Kiew oder gehen bis Lemberg in der Westukraine vor. Und dann war man fast erleichtert am Ende, dass er dann sagte: Wir erkennen eben diese sogenannten Separatistengebiete an. Womit man jetzt immer noch nicht so richtig weiß, wie es weiter geht.
Hendrik Holdmann: Lange wurde ja spekuliert, welche Strategie Putin verfolgt. Über Wochen wurde darüber gesprochen. Ist das jetzt klarer? Worauf müssen wir uns einstellen?
Bettina Sengling: Letztlich weiß man immer noch nicht, welche Strategie dahinter steht. Das einzige wissen wir jetzt: er hat quasi das Minsker Friedensabkommen gekillt. Und das birgt natürlich zahlreiche Gefahren und auch Möglichkeiten. Also die beste Möglichkeit wäre, er geht jetzt wirklich nur – in Anführungszeichen nur – in dieses Gebiet hinein und bewegt sich da nicht weiter. Schießt keine Kindergärten mehr ab und keine Wohnhäuser, wie in den letzten Tagen zahlreich passiert, sondern er bleibt einfach in den Separatistengebieten stehen. Die sind dann anerkannt. So etwas haben wir schon mal in anderen Gebieten in Südossetien gesehen und bewegt sich eben nicht weiter. Das schlimmere Szenarium ist: Er bewegt sich weiter. Denn die Front wurde quasi willkürlich festgelegt. Es gab gestern in einer Versammlung im Föderationsrat die Andeutung, dass man sich eventuell mit diesen Separatistengebieten nicht zufrieden gibt, denn die sind eben willkürlich festgelegt. Da ist einfach der Frontverlauf von 2015 festgelegt worden und er durchschneidet zum Beispiel ganze Dörfer. Und da könnte Putin jetzt sagen: Wir nehmen nicht nur diese Separatistengebiete, sondern wir nehmen die Verwaltungseinheiten Donezk und Luhansk. Das würde bedeuten, dass die Separatistengebiete nur ein Drittel der Fläche einnehmen und dass man jetzt quasi hinausgeht über die jetzige Front und ganze Gebiete dazu erobern muss. Nach wie vor denkbar ist, dass er sich einen Landweg zur Krim erobert. Und denkbar ist auch nach wie vor noch eine große Invasion.
Hendrik Holdmann: Zwei, die sich sehr für das Minsker Friedensabkommen eingesetzt haben, sind der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Wurden diese beiden jetzt vorgeführt durch diesen sehr radikalen, rabiaten, einseitigen Abbruch der Gespräche von Putin? Und was sollte Europa jetzt tun?
Bettina Sengling: Ich weiß nicht, wie man sagt, ob man sagen kann: Er die vorgeführt. Er fühlt sich halt unmöglich auf. Er bringt alles durcheinander, er ist aggressiv der Ukraine gegenüber. Und vorgeführt – also Olaf Scholz und Emmanuel Macron haben natürlich versucht, ihn davon diesen von diesen Schritten abzubringen. Aber Putin zeigt eben und hat eben auch in dieser Rede lang und breit erklärt, warum er jetzt meint, dass der Westen sowieso böse ist und dass er ihm sowieso nicht traut. Und der Westen würde ihn ja sowieso nur über den Tisch ziehen und der Westen hätte die Ukraine gekauft und die Revolution gekauft und er ließ da seinem Hass freien Lauf. Und deswegen kann man nicht sagen, dass er jetzt Scholz oder Macron vorgeführt hat. Weil er sowieso so unmöglich, um es jetzt mal so einfach als Sprache zu sagen, so unmöglich aufführt.
Hendrik Holdmann: Wenn man die Rede gestern von Putin sich anhört, dann gibt es klare Parallelen zu Trump, oder?
Bettina Sengling: Ich kann mich jetzt nicht erinnern, dass Trump so aggressiv sich verhalten hätte gegenüber Nachbarländern. Putin ist ja jetzt auch schon in diesem Krieg, der ja nicht anfängt, sondern den es ja schon seit 2014 gibt, ist er ja schon eben seit Jahren verwickelt. Und er wird ja auch beschuldigt, die Wahlen in den USA beeinflusst zu haben, Fakenews zu verbreiten, auf allen möglichen Kanälen. In seinem eigenen Land werden Oppositionelle eingesperrt. Das kann man mit Trump gar nicht vergleichen, denn immerhin hat Trump ja sein Präsidentenamt geräumt. So etwas würde ja Putin schon nicht einfallen. Es gibt ja noch nicht einmal einen normalen Machtwechsel. Da tut man Trump unrecht, denke ich mir mal. Putin ist da nicht nur ein autoritäres Regime, sondern das trägt ja schon diktatorische Züge.
Hendrik Holdmann: Inwiefern erleben wir gerade eine Neuordnung der Welt? Was hat die Rede von Putin, die wir gestern gehört haben, damit zu tun?
Bettina Sengling: Russland hat eben zum zweiten Mal gezeigt, dass es sich an völkerrechtliche Grenzen und Abkommen nicht hält. Also es wurde immer wieder gewarnt jetzt seit Monaten, nicht einzumarschieren und nicht die Eskalation gegen die Ukraine weiter auszubauen. Und Putin hat eben gezeigt, wie schon 2014 auf der Krim, dass er sich daran nicht hält. Und er ist mit seinen Panzern in dieses Gebiet gegangen, was eben zum Territorium der Ukraine gehört.
Hendrik Holdmann: Russland fühlt sich vom Westen bedroht. Mal angenommen, die NATO würde einen Schritt auf Putin zugehen wollen, müssten sich Polen, Ungarn und Co. von der NATO lossagen?
Bettina Sengling: Das ist ja eine theoretische Frage. Also dazu wird es ja nie kommen, weil der Westen ja ganz klar sagt. Und das ist ja auch eine wichtige Prämisse, dass sich alle Länder, ganz egal wie klein oder groß sie sind, eben aussuchen können, wie sie sich entscheiden und welchem Bündnis sie sich anschließen. Ich kann mir keine Weltordnung vorstellen, in dem jetzt Russland bestimmt, ob jetzt Polen zur EU gehört oder ob jetzt die Polen sich womöglich von der NATO ablösen kann, also davon lösen müsste. Davon kann nicht die Rede sein. Und das weiß Putin auch, dass er so was gar nicht fordern kann. Darauf kann die NATO nicht eingehen, denn damit hätte sie sich ja quasi ihre eigene Existenzberechtigung abgesprochen.