Amoklauf von Hamburg Er war Berater, schrieb über Satan und E-Mobilität und hatte Wut im Bauch: Wer war Philipp F.?

Philipp F.
Philipp F. warb auf seiner Homepage mit "Excellence delivered"
© Privat / stern
Philipp F., der Hamburger Amokschütze, hatte bereits einiges über sich und seine Gedankenwelt preisgegeben. Seine Webseite zeigt, dass er sich intensiv mit Gott und Jesus Christus auseinandersetzte. Die Behörden waren wegen eines Tipps vorgewarnt.

Der schnelle Einsatz der Polizei hat wohl ein noch schlimmeres Blutvergießen verhindert beim Amoklauf während einer Gemeindeversammlung der Zeugen Jehovas in Hamburg. Doch der Hass, mit dem der mutmaßliche Täter sieben Menschen und schließlich sich selbst tötete, kam nicht aus dem Nichts. Im Januar habe ein anonymer Hinweisgeber die Waffenbehörde auf Philipp F.s "besondere Wut auf religiöse Anhänger, besonders gegenüber den Zeugen Jehovas" aufmerksam gemacht, sagt Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Außerdem: Wieder ist der mutmaßliche Täter Sportschütze.

Waffenbehörde war vorgewarnt

Nur einen Monat vor dem Hinweis hatte der 35-Jährige die Waffenbesitzkarte erhalten und sich eine halbautomatische Pistole gekauft. Der Tippgeber aus dem Januar sorgt sich offenbar, befürchtet eine psychische Erkrankung, mit der sich Philipp F. seinen Angaben zufolge aber nicht behandeln lässt. Und er hält es angesichts des Waffenbesitzes wohl für nötig, die Behörden vor Philipp F. zu warnen – spätestens da ist der Mann auf dem Radar.

Im Internet gab Philipp F. einiges über sich und seine Gedankenwelt preis. Die Webseite des Täters zeigt etwa, dass er sich intensiv mit Gott und Jesus Christus auseinandersetzte.

stern-Reporterin Jana Luck hat sich seine Internetpräsenz angesehen: Wer seine Homepage öffnet, liest "Excellence delivered" – gelieferte Exzellenz, das Versprechen signiert mit einer Unterschrift F.s. Die Seite ist gehalten in dunklem Grau, dunklem Rot und Weiß, garniert mit Kalender-Bildern von Hamburg: Binnenalster, Elbphilharmonie vor alten Lagerhäusern, die Seite ist auf Englisch.  

F. schreibt über Satan und E-Mobilität

Auf seiner Homepage veröffentlichte er auch einige Publikationen. Sie geben einen Einblick in den Kopf des Mannes und seine Denkmuster. Er schreibt darin über Satan und zitiert Psalm-Verse, aber auch über E-Mobilität und Elon Musk als einen der "klügsten Menschen auf dem Planeten". Er ordnet Menschen in Hierarchien ein, an erste Stelle setzt er Menschen mit epochaler oder biblischer Wirkmacht, dann folgen Visionäre, Gründer, Frauen und Männer der Geschichte, an dritter Stelle Sportstars, Showstars, Entertainer und Künstler. Er empfiehlt sogar Stundenlöhne, geordnet nach Qualifikation. 

Vor allem sein Buch sticht heraus: 306 Seiten, er bietet es seit Ende 2022 im Internet zum Kauf an. Es trägt den Titel "The Truth About God, Jesus Christ and Satan: A New Reflected View of Epochal Dimensions" – übersetzt etwa "Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan. Eine neue reflektierte Sicht epochaler Dimensionen".  Den Bezug zur Religion zeigt er in der Beschreibung der vier Säulen seiner Jobtätigkeiten, einer der Reiter heißt: "Theologie & Recht". Schon ungewöhnlich für einen Berater. 

Die Waffenbehörde hatte den aus Memmingen im Allgäu stammenden Mann bei der Erteilung der Waffenbesitzkarte auf seine Zuverlässigkeit überprüft, routinemäßig Erkundigungen in den Akten von Polizei, Verfassungs- und Staatsschutz angestellt. Zweifel an der Zuverlässigkeit des späteren Amokläufers hätten sich da aber nicht ergeben, sagt Polizeichef Meyer.

Nach dem Hinweis zu seinen angeblichen Problemen hätten ihn dann am 7. Februar zwei Beamte der Waffenbehörde in seiner Wohnung besucht – unangekündigt. "Er zeigte sich kooperativ, erteilte bereitwillig Auskunft, es war ein offenes Gespräch." Sowohl Waffe als auch der Tresor, in dem sie verwahrt wurde, hätten keinen Anlass zur Beanstandung gegeben, "bis auf eine Kleinigkeit, weil ein Projektil oberhalb des Tresors lag", so der Polizeipräsident.

Philipp F. "war es auch erkennbar peinlich"

Die gesamten Umstände hätten auch keinerlei Anhaltspunkte für die Beamten ergeben, "die auf eine psychische Erkrankung hätten hindeuten können". Man habe über alltägliche Dinge wie die Wohnungseinrichtung gesprochen "und ist am Ende des Tages rausgegangen und hat ihm wegen des kleinen Verstoßes eine mündliche Verwarnung ausgesprochen". Philipp F. habe sich entschuldigt, "es war ihm auch erkennbar peinlich".

An diesem Punkt verschwand Philipp F. dann wieder vom Radar der Behörden, bis zu diesem Donnerstag, bis zu der Gewalttat in der Gemeindeversammlung, die Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) einen Tag später als "das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt" bezeichnen wird.

Am Tag danach verweisen sowohl der Senator als auch sein Polizeipräsident auf das Waffenrecht, das den Behörden auch die Hände binde. Auch wenn die beiden Beamten aus der Waffenbehörde sich vor Ort persönlich überzeugt hätten und keine Zweifel an der Zuverlässigkeit von Philipp F. gehabt hätten, "müssen wir uns die rechtlichen Abläufe und auch die Voraussetzungen für weitere Maßnahmen noch einmal kritisch angucken", sagt Meyer. Ein anonymes Schreiben reiche für den Entzug der Besitzerlaubnis nicht aus.

Die Frage der persönlichen Zuverlässigkeit und Eignung in Zusammenhang mit dem Waffenbesitz "beschäftigt uns ja schon eine ganze Weile, gerade auf gesetzgeberischer Ebene", sagt Grote. "Und gerade die Frage: Sind wir gut genug aufgestellt bei der Überprüfung von Antragstellern auf psychische Erkrankungen, von Auffälligkeiten, Instabilitäten?" Nicht umsonst habe die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, die dies standardmäßig vorsehe. Bei den Beratungen in den Ressorts der Bundesregierung gebe es gegen den Entwurf aber noch Widerstand.

Erinnerungen an Hanauer Attentat

Die ganze Diskussion ist nicht neu: Der Fall erinnert an das Attentat von Hanau, wo ein psychisch kranker Rechtsextremist, der als Sportschütze legal Waffen besaß, 2020 aus rassistischen Motiven neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet hatte. Anschließend erschoss er seine Mutter und tötete dann sich selbst.

Obwohl der spätere Attentäter extremistische Gedanken hegte und Wahnvorstellungen hatte, was auch aus Briefen, die er an offizielle Stellen schrieb, hervorging, war ihm der Waffenbesitz nicht untersagt worden. Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warb nach dem Anschlag für eine Reform des Waffenrechts, damit psychisch Kranke keinen Zugang zu Waffen mehr haben. Er konnte sich in diesem Punkt jedoch, auch wegen komplexer Fragen zu Datenschutz und ärztlicher Schweigepflicht, damals nicht durchsetzen.

DPA
nik

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