London hat schon lange ein Rattenproblem: Ende 2017 sorgte ein Video für Wirbel, das zeigte, wie es im Stadtbezirk Harrow auf Blumenbeeten und zwischen Müllsäcken von Ratten nur so wimmelte. Daraufhin wurde im Auftrag des Stadtrates ein Bericht erstellt, demzufolge täglich mehr als 100 Beschwerden über Ratten bei den Verwaltungen eingehen. Das Papier mit dem Titel "Rat Land" (Rattenland) ermahnte die Stadt, ihr Nagetierproblem in den Griff zu bekommen. Nur gut zwei Jahre später begann die Corona-Pandemie – und stellte die britische Hauptstadt vor ganz neue Probleme bei der Rattenbekämpfung.
Da viele Restaurants und Bürogebäude im sonst so geschäftigen Londoner Stadtzentrum leer stünden, seien die Ratten gezwungen, auf der Suche nach Nahrung in Wohngebiete auszuweichen, berichtet der US-Nachrichtensender CNN. Und dort werden sie fündig. Denn Familien, die mehr Zeit zu Hause verbringen und vermehrt ihre Mahlzeiten daheim zu sich nehmen, hinterlassen mehr Müll, der wiederum Ratten anlockt. "Ratten sind wie kleine Überlebensmaschinen; wo immer es verlässlichen Zugang zu Lebensmittelabfällen gibt, kommen sie wieder", sagte der Schädlingsbekämpfer Michael Coates dem Sender.
Auch Vogelhäuschen in Gärten, die im Winter immer wieder mit Futter aufgefüllt werden, ziehen die Nager an. "Wir hatten einen Fall mit einer alten Dame, die ihre geliebten Rotkehlchen fütterte", erzählte Coates. "Als sie uns anrief, wühlten vielleicht zehn bis 15 Ratten in ihren Blumenbeeten herum." Sein Kollege Paul Claydon aus dem Londoner Osten berichtete CNN, er habe kürzlich eine Kolonie von Ratten getötet, die versucht hätten, sich in einen Kaninchenstall zu graben, um das ahnungslose Haustier zu verspeisen.
Ratten befallen auch leerstehende Bürogebäude
"Es mag sein, dass wir sie häufiger sehen und hören, wenn wir zu Hause im Büro unter dem Dachboden arbeiten, aber ich fürchte, London könnte eine große Überraschung erleben, wenn es wieder geöffnet wird", warnte Claydon. "Vor allem, wenn Unternehmen und Liegenschaften, die ein Problem hatten, sich nicht an ihre Schädlingsbekämpfungspläne gehalten haben." Der Kammerjäger berichtete, dass er normalerweise etwa zehn Anrufe pro Woche erhalte, bei denen es um Probleme mit Nagetieren gehe. Aber während des Lockdowns seien es "leicht mehr als 20".
Nach Angaben der British Pest Control Association (BPCA), die 700 Ungezieferfänger im ganzen Land vertritt, meldeten ihre Mitglieder während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 einen 51-prozentigen Anstieg der Nagetieraktivitäten. Und nachdem das Leben im November erneut heruntergefahren wurde, hätten die Aktivitäten sogar um 78 Prozent zugenommen.
Für dieses Jahr lägen noch keine Berechnungen vor, erklärte die BPCA gegenüber CNN, doch die Sichtungen seien gestiegen. "Wir können jetzt Ratten sehen, wo wir sie normalerweise nicht sehen würden, weil sie so verzweifelt sind", zitiert der Sender BPCA-Sprecherin Natalie Bungay. "Ratten können sich durch sehr harte Substanzen wie weiche Metalle und Ziegelsteine fressen."

Das bestätigte auch Andy Tyson von Guardian Pest Management, einer Schädlingsbekämpfungsfirma in London. Tyson machte im britischen "Guardian" darauf aufmerksam, dass auch die im Lockdown häufig verwaisten Bürogebäude der Stadt zunehmend von Ratten besiedelt würden.
"Eine Ratte kann ein Abwasserrohr hochklettern, kein Problem", sagte Tyson der Zeitung. "Wenn niemand da ist, der eine Toilette benutzt und einen Spülkasten betätigt, können Ratten herauskommen." Dies sei ein besonderes Problem in modernen Bürogebäuden, wo Abwasserrohre in der Regel aus Kunststoff bestünden und in Wänden eingeschlossen seien, erklärte Tyson. "Ratten können Plastik durchnagen. Nicht oft, aber sie haben es bereits getan und man kann es feststellen. Aber es ist ein echtes Problem, sie zu finden, und niemand, den ich kenne, hat eine perfekte Lösung dafür."
"Wir haben Berichte über Ratten- und Mäusebefall in leerstehenden Gebäuden erhalten, und es scheint, dass sich ihre Lebensgewohnheiten ändern", sagte BPCA-Sprecherin Bungay dem "Guardian". Vor allem die Schließung von Restaurants habe die Tiere hart getroffen. "Es gibt weniger Müll auf den Straßen, den sie essen können. Aber durch die frei gewordenen Räume gibt es mehr Platz für sie, den sie nutzen können."
Die Nager müssten an neuen Orten nach Nahrung suchen und sich mit anderen Arten von Nahrung begnügen, erklärte Bungay. In der ersten Zeit des Lockdowns hätten viele Kommunen die Mülltonnen zugeklebt. Die Ratten wanderten deshalb weiter und tauchten in Bereichen auf, in denen man sie normalerweise nicht sehen würde. "Letztendlich wollen Ratten nur das, was wir auch wollen: Nahrung, Wärme und einen Platz, um eine Familie zu gründen."
Quellen: CNN, "The Guardian", "Harrow Times"