Herr Dirksen, Sie haben über Anakondas promoviert und schrieben unter anderem das Buch "Keine Angst vor Anakondas". Der Filmemacher Paul Rosolie wollte sich von einer Anakonda bei lebendigem Leib verschlingen lassen. Das Experiment ist kläglich gescheitert. Was sagen Sie dazu?
Das hätte Ihnen jeder Schlangenexperte vorher sagen können. Das ist absoluter Blödsinn. Anakondas töten, um zu fressen. Die Schlange wickelt sich dafür um ihr Opfer und baut einen wahnsinnigen Druck auf, dem der Mann selbst in seinem Anzug nicht hätte standhalten können. Rosolie hätte ja lebend verschlungen werden sollen. Aber Anakondas fressen niemals lebende Objekte. Das Experiment, so wie es im Trailer dargestellt wurde, war zu 100 Prozent zum Scheitern verurteilt.
Darin behauptet der Sender dennoch, Rosolie hätte es bis in den Bauch der Anakonda geschafft.
Eine Ankündigung für etwas, das nicht geschehen ist. Das ist schlichtweg Betrug am Zuschauer. Diese Behauptung zeigt auch direkt den nächsten Irrsinn: Selbst wenn der Mann es in den Bauch des Tiers geschafft hätte, so hätte er ja auch wieder hinausgewollt. Es ist richtig, dass Riesenschlangen ihre Beute wieder ausspucken können. Aber das ist sehr mühsam und qualvoll für sie. Mit der Verdauung sind große Schlangen bis zu drei Monate beschäftigt und quasi außer Gefecht gesetzt. Nur bei großer Bedrohung spucken sie die Beute aus. Man hätte sie also derart unter Stress setzen müssen, damit sie den Mann wieder freigibt. Wahrscheinlicher wäre jedoch gewesen, dass sie das Tier aufgeschnitten hätten, um das Menschenleben schnell zu retten.
Der Anzug, den Rosolie trug, war mit Messgeräten ausgestattet. Er wollte den Verdauungsmechanismus der Anakonda untersuchen. Er handelte "im Dienst der Wissenschaft", wie der Sender DMAX sagte.
Dazu gibt es längst andere Untersuchungen, das ist vollkommen unnötig. Dass bei dieser Art von Experiment wissenschaftliche Daten herauskommen, halte ich für Unfug. Da kommt nichts Neues heraus. Das ist ein bloßer Vorwand, um die Sensation zu rechtfertigen.
Eine Sensation hat er allemal provoziert. Rosolie will mit der Aktion angeblich Aufmerksamkeit für das Amazonasgebiet wecken. Was halten Sie davon?
Da denke ich an erster Stelle an Discovery Channel, die dadurch eine Wahnsinnsaufmerksamkeit bekommen haben. Wenn Rosolie wirklich im Auftrag der Natur handeln wollte, wie er behauptet, dann finde ich die Aktion falsch. Denn er hätte wissen müssen, dass ihn die Schlange nicht fressen würde. Und ich denke, das wusste er auch. Sie haben es dennoch gemacht, um ihr Quoten-Ziel zu erreichen. Was er damit zum Wohl der Anakonda getan haben will, weiß ich nicht. Durch den Film denkt doch keiner an die Schlange, sondern nur an den Typen, der diesen Blödsinn gemacht hat. Statt einen ernsthaften Beitrag zum Schutz des Regenwaldes zu erbringen, lacht die Öffentlichkeit nun über Rosolie.
Sie selbst haben auch Tierdokus gedreht. Was löst "Eaten Alive" in Ihnen als Tierfilmer aus?
Als Tierfilmer sollte man Tiere so darstellen, wie sie leben und nicht in ihren Lebensraum eingreifen. Die einen arbeiten dabei so, dass die Tiere es gar nicht mitbekommen. Andere gehen dagegen nah ran und gewöhnen die Tiere langsam an sich, um dann spektakuläre Aufnahmen zu machen. Beides hat seine Berechtigung, die Tiere werden nicht beeinträchtigt. Doch sich von einer Schlange fressen zu lassen, hat nichts mit der Wirklichkeit der Tiere zu tun. Eher mit Tierquälerei.

Ich kann mich nicht erinnern, wann zuletzt so viel über einen Tierfilm gesprochen wurde. Müssen Tier- und Naturdokus heutzutage schocken, um noch anzukommen?
Das glaube ich nicht. Es gibt genug gute Tierfilme, die Anklang finden. Der Hype ist jetzt zwar da, aber die Frage ist doch, wem bringt er was? Rosolie ist bekannt geworden und Discovery Channel ist in aller Munde. Den Tieren oder dem Regenwald bringt er sicher nichts. Ich glaube auch, dass sich der Sender damit schaden wird. Wie jede andere Institution, die sich finanzieren muss, greift auch dieser Sender mal zu komischen Mitteln. Aber das ist eine Nummer, die geht eindeutig zu weit. Da wird Quote über Moral und Wissenschaft gestellt.
Können Sie dem Experiment denn irgendetwas Positives abgewinnen?
Da fällt mir wirklich nichts zu ein. Nein.