Archäologie Nicht aus Ägypten oder Chile: Stammen die ältesten Mumien der Welt aus Europa?

Leiche in gehockter Positionen bandagiert und im Wochenvergleich
Die Computersimulation zeigt, wie die Mumifikation der Leichen im Sado-Tal abgelaufen sein könnten
© Cambridge University Press / European Association of Archaeologists
Wiederaufgetauchte Fotos von Ausgrabungen könnten belegen, dass Leichen in Portugal bereits vor 8000 Jahren künstlich mumifiziert wurden. Es wäre der älteste Beleg für Mumifizierungen.

In den 1960er Jahren fanden Archäolog:innen mehr als 100 Skelette von steinzeitlichen Menschen in aus Muschelschalen bestehenden Grabhügeln im portugiesischen Sado-Tal. Bislang fehlten wichtige Aufzeichnungen dieser Ausgrabung, wie etwa Fotos, Lagepläne und Feldzeichnungen, weshalb sich der Fundort und die ursprüngliche Position der Skelette nicht mehr genau rekonstruieren ließen.

Nun entdeckte ein portugiesischer Archäologe im persönlichen Archiv des Archäologen Manuel Farinha dos Santos zwei noch nicht entwickelte Filmrollen von der Ausgrabung 1962 in Arapouco. Ein schwedisches Forscherteam der Universität Uppsala hat mithilfe dieser neuen Aufzeichnungen die Umstände der steinzeitlichen Bestattungen genauer untersucht – und Erstaunliches festgestellt.

Leichname wurden mit Bandagen fixiert

Das Forscher:innenteam um Rita Peyroteo-Stjerna kam zu dem Schluss, dass einige der 8000 Jahre alten Leichen vor ihrer Bestattung mumifiziert worden waren. Damit wären sie die ältesten bekannten künstlichen Mumien der Welt – und nicht wie bisher angenommen die etwa 7000 Jahre alten Mumien der Chinchorro-Kultur aus dem heutigen Chile.

An einigen der Skelette konnten die Wissenschaftler:innen Nachweise für eine sowohl gelenkte als auch natürliche Mumifizierung feststellen. Besonders zwei der im Sado-Tal gefundenen Mumien "stechen wegen ihrer ungewöhnlichen Körperposition heraus", heißt es in einem Bericht der Forscher im "European Journal of Archaeology". Die Arme und Beine der Leichen waren "so stark wie möglich angewinkelt und mit Bandagen fixiert" worden.

Fotos und Zeichnungen der angewinkelten Skelette in der Erde
Vor ihrer Beisetzung sollen die Arme und Beine der Leichname möglichst stark angewinkelt und die Körper ausgetrocknet worden sein
© Cambridge University Press / European Association of Archaeologists

Mumifizierung als bedeutsames mesolithische Bestattungsritual

Zudem gebe es Anzeichen dafür, dass die Leichname vor ihrer Beisetzung längere Zeit an der Luft oder an einem Feuer getrocknet worden sein könnten. "Die Manipulation des Körpers während der Mumifizierung würde die anatomische Integrität des Skeletts erhalten und die gewünschte Körperposition sicherstellen", erklären die schwedischen Forscher:innen. Auf diese Weise hätten die Körper für eine gewisse Zeit konserviert und leichter transportiert werden können.

All das könnte darauf hindeuten, dass den portugiesischen Steinzeitmenschen sehr an der Erhaltung unversehrter Körper und deren Mumifizierung gelegen war. "Diese Praktiken würden auch die Bedeutung der Bestattungsplätze und die Wichtigkeit unterstreichen, die Toten auf eine Art und Weise zu diesen Orten zu bringen, die den Körper umschließt und schützt, und zwar nach Prinzipien, die kulturell geregelt waren", schreiben die Forscher:innen. Außerdem würde es "die Bedeutung des physischen Körpers der Toten sowie der Bestattungsstätten im südportugiesischen Mesolithikum betonen." Als Mesolithikum, auch Mittelsteinzeit genannt, versteht man den Zeitraum zwischen von etwa 9650 bis 5500 v. Chr.

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Auch kulturelle Gründe für Mumifizierung

Warum die Verstorbenen mumifiziert wurden, können die Wissenschaftler:innen nicht eindeutig sagen. Sie nehmen an, dass auf diese Weise der Transport der Leichen zum Begräbnisort erleichtert werden sollte. Gleichzeitig warnen sie davor, die Mumifizierung nur funktional zu begreifen. Vielmehr verdeutliche "die Veränderung des Aussehens des Leichnams ein kulturelles Verständnis des Umgangs mit dem Tod und vielleicht sogar seiner Kontrolle", so das Forscher:innenteam.

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