Sie verursachen Krebs, machen unfruchtbar und schädigen das Immunsystem: Ewigkeitschemikalien lagern sich überall ab und wurden bereits in den entlegensten Winkeln der Welt nachgewiesen. Die teils giftigen Stoffe – bekannt als Pestizide, Biozide, Arzneimittelwirkstoffe oder Industriechemikalien – bewegen sich unter anderem im Wasserkreislauf und können so gut wie nicht abgebaut werden. Über die Nahrungskette gelangen sie in unseren Körper und gefährden auch Neugeborene. Weil die Stoffe kaum aus der Umwelt zu filtern sind, werden sie Ewigkeitschemikalien genannt.
Das Umweltbundesamt (UBA) hat nun in vier aktuellen Studien nachgewiesen, dass deutsche Gewässer und Trinkwasserressourcen stärker mit diesen Stoffen belastet sind, als bisher angenommen. Dafür haben Forschende unter anderem 76 Oberflächen- und Grundwasserproben von 13 Trinkwasserversorgern untersucht. In jeder Probe fanden die Wissenschaftler giftige Stoffe, darunter auch sogenannte PFAS. Diese Industriechemikalien werden unter anderem zur Beschichtung von Outdoor-Kleidung oder als Imprägniermittel eingesetzt. Auch mobile Ewigkeitschemikalien wiesen die Forscher nach. Vor allem Stoffe wie industrielle Klebstoffe oder Lösungsmittel kommen "in der Umwelt deutlich häufiger vor, als bislang bekannt", fassen die Forscher ihre Ergebnisse in einer schriftlichen Mitteilung, die dem stern vorliegt, zusammen.
Chemikalien lassen sich nicht einfach so filtern
Bei der Wasseraufbereitung werden Aktivkohlefilter und Ozon eingesetzt. So sollen Partikel und Stoffe beseitigt und das Wasser wieder trinkbar werden. Nur viele der von den Forschern entdeckten Gifte sind gegen diese Mittel immun. 51 Prozent der untersuchten Stoffe lassen sich nicht einfach so weg-reinigen.
In einer repräsentativen Umfrage unter 27 deutschen Wasserlaboren zeigt das UBA zudem, dass über die Hälfte der 79 angefragten Ewigkeitschemikalien wegen fehlender Überwachung gar nicht beobachtet werden. Es ist also unklar, wie stark die Stoffe im Wasser verbreitet sind.
Um das Risiko für die Bevölkerung und die Umwelt richtig bewerten zu können, sei die Konzentration der giftigen Stoffe in einer Probe wenig entscheidend. "Problematisch sind vielmehr die extreme Langlebigkeit und die hohe Mobilität der Chemikalien", heißt es in der UBA-Mitteilung. Wegen ihrer besonderen Eigenschaften können sich die Gifte künftig weiter ungestört ausbreiten. Dadurch steigt auch ihre Konzentration.
UBA-Präsident Dirk Messner appelliert an die Industrie: Seien Mensch und Umwelt erst einmal mit diesen schwer-abbaubaren Chemikalien belastet, "ist dies kaum noch oder nur noch mit immensem Aufwand und Kosten wieder zu beheben". Was dafür nötig wäre und wie viel das alles kosten würde, ließ er offen.
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2020 zeigte zuletzt, dass schon Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 17 Jahren zu viele Schadstoffe im Blut haben. Am häufigsten wiesen die Forschenden langlebige Industriechemikalien (PFAS) nach. Die gemessenen Werte überstiegen zum großen Teil die vorsorglichen Gefahrenwerte.
Ewigkeitschemikalien häufig im Alltag eingesetzt
Sich davor zu schützen, ist angesichts der Verbreitung kaum möglich. Ewigkeitschemikalien werden vielseitig eingesetzt, weil sie fett-, schmutz- und wasserabweisend wirken. Im Alltag sind sie unter anderem in beschichteten Bratpfannen, Kleidung, Fast-Food-Verpackungen wie Pommestüten und sehr selten auch in Kosmetik zu finden. "Ob ein Produkt PFAS enthält, lässt sich in der Regel nicht erkennen, da es in den meisten Produktbereichen keine Kennzeichnungspflicht für diese Ewigkeits-Chemikalien gibt", heißt es bei der Verbraucherzentrale.
Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung werden die Chemikalien überwiegend durch Lebensmittel, Trinkwasser aber auch über den Kontakt mit PFAS-haltigen Produkten aufgenommen. Mütter können die giftigen Substanzen beim Stillen an ihre Kinder weitergeben.
Deutsche Gewässer in schlechtem Zustand
Mittels einer aktuellen Literaturanalyse von 55 Studien, die im Zeitraum von 2000 bis 2019 erschienen sind, konnte das Umweltbundesamt jetzt 600 Chemikalien in den deutschen Wasserressourcen nachweisen. Rund die Hälfte ist in den Vorschriften der europäischen Chemikalienverordnung (REACH) gelistet. 338 der dort genannten Substanzen wurden im Grundwasser entdeckt, 385 im Trinkwasser.
Die REACH zählt zu den strengsten Chemikaliengesetzen weltweit. Unternehmen müssen selbstständig sicherstellen, dass ihre Chemikalien ohne weitere Risiken verwendet werden. Andernfalls dürfen sie nicht verbreitet werden. Dafür müssen Firmen die von ihnen genutzten Stoffe eigenständig bewerten. Die Chemikalien werden von den Behörden registriert und entsprechend ihren Eigenschaften reguliert. Auf der Seite der Europäischen Chemieagentur sind diverse Stoffe und mit Gefahrenwerten und Einsatzbedigungen gelistet. Unternehmen können dort nachlesen, unter welchen Bedingungen sie beispielsweise Melamin, einen Klebstoff, einsetzen dürfen. Auch das Umweltbundesamt hat ausgehend von den Forschungsergebnissen eine ähnliche Liste erstellt und appelliert an die Industrie, chemische Emissionen zu reduzieren.
Schon im vergangenen Jahr stellte das Umweltbundesamt den deutschen Gewässern ein schlechtes Zeugnis aus. Laut "Wasserrahmenrichtlinie" waren 2022 10 Prozent der Flüsse, Seen und Küstengewässer in einem guten Zustand. Deren Zustand habe sich zwar seit 2015 verbessert, allerdings bewertete die Behörde jeden fünften Grundwasserkörper in Deutschland allein wegen zu hoher Nitratwerte als schlecht. Die Gewässer litten unter zu hohen Nähr- und Schadstoffwerten, sagte UBA-Chef Messner damals. Deutschland, so die Prognose, werde die Ziele der europäischen Wasserrahmenrichtlinie bis 2027 verfehlen. Sie sieht vor, dass Wasser in ausreichenden Mengen und hoher Qualität vorhanden ist.