Was tut man, wenn man die Macht behalten will, jedoch nach dem Tod des Mannes ein Thronfolger fehlt? Die ägyptische Königin Nofretete nahm sogar Kontakt zum Todfeind auf. "Mein Gemahl ist tot, und ich habe keinen Sohn. Aber man sagt mir, dass Du viele Söhne hast. Wenn Du mir einen Deiner Söhne schickst, würde er mein Gemahl sein. Ich werde niemals einen meiner Diener zum Gatten nehmen ... ich habe Angst." Diese Zeilen schrieb sie - wenn die Archäologen die Quellen richtig deuten - im 14. Jahrhundert vor Christus an den König der Hethiter. Jahrelang hatte ihr Gatte Echnaton das Reich regiert, nun war er tot. Sechs Töchter hatte sie während dieser Zeit zur Welt gebracht, ein männlicher Thronfolger jedoch fehlte. Nofretete sah ihre Macht schwinden.
Mit dem geradezu verzweifelten Brief an Schuppiluliuma I., den mächtigen König der Hethiter, versuchte die Königin, ihre Position zu sichern - und viel mehr als das: Die Hethiter waren in jener Zeit aus ihrem Stammland Anatolien bis weit nach Süden vorgedrungen, bis ins heutige Syrien und auch hinüber nach Mesopotamien. Eine Ehe mit einem von Schuppiluliumas Söhnen hätte Nofretete Einfluss auf ein Reich verschafft, das vom Schwarzen Meer bis hinunter nach Nubien reichte. Eine Supermacht wäre entstanden, in der Nofretete mehr als nur die schöne Königsgattin gewesen wäre.
Diese Rolle der Nofretete als Hauptdarstellerin in einem Spiel aus Macht und Intrige brachten Archäologen erst nach jahrelanger Puzzlearbeit ans Tageslicht: Der Brief der Nofretete ist nur in einer hethitischen Abschrift erhalten, in der jedoch der Name der Königin nicht erwähnt ist. Es ist lediglich von einer Königsgemahlin die Rede. Damit könnte jedoch auch die eher unbedeutende Witwe Tutanchamuns gemeint gewesen sein.
Klarheit brachte nun der kanadische Hethiter-Experte Jared Miller, wie das Wissenschaftsmagazin "bild der wissenschaft" berichtet. Der Forscher, der seit 2008 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München lehrt, stieß bei der Übersetzung hethitischer Keilschriftfragmente auf sechs Bruchstücke von Tontafeln, die sich an zwei bereits bekannte Trümmer anschließen ließen. Der Text, der sich daraus ergab, schildert die Auseinandersetzungen der Hethiter mit den Ägyptern. Aus dieser Chronologie lässt sich schließen, dass die Tontafeln aus der Zeit des hethitischen Königs Murschili II. stammen, dem Sohn Schuppiluliumas, der den ominösen Brief von Nofretete erhalten hatte. Und daraus wiederum kann Miller folgern, dass Nofretete die Urheberin des Briefes ist.
Machthungrige Königin
Wie wichtig ihr das Herrschen war, hatte die Königin bereits an der Seite ihres Gatten Echnaton bewiesen, wie "bild der wissenschaft" schreibt. Wandgemälde und Reliefs zeigen die "Große Königliche Gemahlin" - so einer ihrer Titel - stets an der Seite des Königs. Selbst bei Kulthandlungen war sie dabei, was für die damalige Staatsauffassung unüblich war.
Nofretete zog wohl auch bei Echnatons Reformversuchen die Fäden. Er versuchte, die Vielfalt der Götter in der ägyptischen Religion abzuschaffen und stattdessen eine monotheistische Religion einzuführen, in der nur noch der Sonnengott Aton angebetet wurde. "Nofretete war einer der Architekten des Aton-Kults", ist der britische Ägyptologe Nicholas Reeves überzeugt.
Für den nicht unumstrittenen Forscher ist auch klar, dass Nofretete bereits zu Lebzeiten Echnatons auch offiziell Macht übernommen hatte: So erscheint in den Darstellungen ein schemenhafter Mitregent Echnatons mit dem Namen Anchcheprure-Nefernefruaton. Dieser sei kein anderer als Nofretete gewesen, erklärt Reeves. Und selbstverständlich wurde Nofretete nach dem Tode Echnatons selbst Königin.
Kluger Befreiungsschlag
Doch das Regieren in dem damals wirtschaftlich zerrütteten Land war gefährlich, und mit dem Versuch der Einführung einer monotheistischen Religion hatte sich das Königspaar vor allem in der mächtigen Priesterschaft viele Feinde gemacht. Gefahr drohte auch von den Hethitern, die ihren Einflussbereich von Norden her immer weiter nach Süden ausdehnten. In dieser Situation war der taktische Befreiungsschlag der Nofretete ebenso klug wie kühn: Die Ehe mit einem hethitischen Prinzen hätte sie auf einen Schlag zur wohl mächtigsten Frau der damaligen Welt gemacht.
Auch der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt: Schuppiluliuma I. war zunächst misstrauisch, witterte eine Falle. Er schickte einen Abgesandten an den Nil - zum Ärger Nofretetes: "Warum redest Du von Täuschung?", schrieb sie dem König: "Einem anderen Land schrieb ich nicht. .... Gib mir einen Deiner Söhne. Für mich zum Gatten, für Ägypten als König."
Der Hethiter-König konnte der Versuchung schließlich nicht widerstehen und sandte seinen Sohn Zananza nach Ägypten - wo dieser jedoch nie ankam. Schon bevor er mit seiner Eskorte die ägyptische Grenze erreichte, wurde er ermordet. In Ägypten errangen daraufhin die konservativen Kräfte aus Priesterschaft und Militär wieder die Oberhand. Die von Echnaton eingeführten Neuerungen wurden wieder abgeschafft.
Was nach dem versuchten Techtelmechtel mit dem Todfeind aus dem Norden mit Nofretete geschah, ist ungewiss. In offiziellen Darstellungen taucht sie danach nicht mehr auf, und auch ihre Mumie ist verschollen. Der Ägyptologe Nicholas Reeves kommentiert dies lapidar: "Wir dürfen annehmen, dass bei ihrem Tod natürliche Ursachen eine untergeordnete Rolle spielten."