Saudischer König nach Teheran eingeladen Von Todfeinden zu Verbündeten? Das steckt hinter der Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien

  • von Rafael Hein
Die Außenminister des Iran (l.), von China (M.) und Saudi-Arabien reichen sich die Hand
Dieses Foto ging Anfang April um die Welt und markierte den sichtbaren Beginn der aktuellen Annäherung von Saudi-Arabien und Iran: Die Außenminister des Iran (Hussein Amirabdollahian, l.), von Saudi-Arabien (Prinz Faisal bin Farhan Al Saud, r.) und China (Qin Gang) reichen sich die Hand
© Uncredited/Iranian Foreign Ministry / DPA
Nach sieben Jahren diplomatischer Funkstille gehen die beiden konkurrierenden Regionalmächte jetzt aufeinander zu: Doch was sind die Gründe für die plötzliche Annäherung der als Erzfeinde geltenden Länder und was bedeutet sie für die Region?

Es ist eine Annäherung nach mehr als sieben Jahren der Spannungen: Anfang des Monats trafen sich die Außenminister beider Länder in Peking, nun wurde der saudische König in den Iran eingeladen. Auch die Botschaften wollen beide Länder alsbald wieder beim jeweiligen Gegenüber eröffnen. Vermittelt hatten der Oman, Irak und zuletzt vor allem China.

Der schiitische Iran und das sunnitische Saudi-Arabien ringen seit Jahrzehnten um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Das Verhältnis ist geprägt von Phasen der Spannung und Entspannung. Nachdem Saudi-Arabien bei einer Massenhinrichtung Anfang 2016 den bekannten schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr exekutiert hatte, stürmten iranische Demonstranten die saudische Botschaft in Teheran und setzten sie teilweise in Brand. Die Regierung in Riad wies umgehend die iranischen Diplomaten aus und zog die eigenen aus dem Iran ab. Seitdem herrschte diplomatische Eiszeit zwischen den beiden Ländern. Ihre Rivalität trugen die Staaten in den vergangenen Jahren auch bei militärischen Konflikten in der Region aus, etwa im Jemen oder in Syrien.

Die nun in Aussicht gestellte Annäherung dürfte Spannungen zwischen den seit Jahrzehnenten verfeindeten Regionalmächten abbauen und könnte zu größeren Umbrüchen in der Golfregion führen. Trotzdem stellt sich die Frage, warum die beiden Staaten gerade jetzt aufeinander zugehen und was sie sich davon versprechen.

Warum gehen Saudi-Arabien und Iran jetzt aufeinander zu?

Für den Iran dürften wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen. Das Land ist stark vom Ölexport abhängig. Internationale Sanktionen haben die Islamische Republik aber weitgehend vom Markt ausgeschlossen. Der Iran steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise: So hat seine Währung Rial in den vergangenen zehn Jahren um 90 Prozent an Wert eingebüßt. Die massiven monatelangen Proteste der iranischen Bevölkerung im vergangenen Jahr setzen das Regime zusätzlich unter Druck. Entspannt sich die Beziehung zu Riad, könnten auch die auf Eis gelegten Verhandlungen zum Atomabkommen wieder Fahrt aufnehmen – was der iranischen Wirtschaft helfen würde.

Auch Saudi-Arabien verfolge vor allem wirtschaftliche Interessen, sagt der Politikwissenschaftler und Saudi-Arabien-Experte Sebastian Sons dem stern. Um die eigene Wirtschaft zu modernisieren, sei das Königreich auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen "und dafür braucht es regionale Stabilität". Außerdem könne die Annäherung den Jemenkrieg deeskalieren, der für Saudi-Arabien nicht nur gefährlich, sondern auch teuer sei und dem Ruf des Königreichs schade.

Ein Vorgeschmack darauf zeigte sich bereits vergangenes Wochenende:  Die von Saudi-Arabien unterstütze jemenitischen Regierung und die schiitischen Huthi-Rebellen, auf deren Seite der Iran steht, tauschten fast 900 Gefangene aus. Dem Online-Portal Iran Journal zufolge versprach der iranische Außenminister am nächsten Tag dem UN-Sondergesandten für Jemen Hans Grundberg "alles für einen Frieden in Jemen tun zu wollen". Grundberg sagte am Montag bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats: "Ich glaube wir haben seit acht Jahren keine so ernsthafte Gelegenheit gesehen, Fortschritte bei der Beendigung des Konflikts zu erzielen".

Politikwissenschaftler und Iran-Experte Cornelius Adebahr sagte dem stern, Saudi-Arabien habe erkannt, dass es sich im Umgang mit Iran nicht immer auf Rückendeckung durch die USA verlassen kann. Denn 2019 schlugen iranische Drohnen und Marschflugkörper in saudische Ölraffinerien am Persischen Golf ein. Die damals von Donald Trump regierten USA kamen dem angegriffenen Königreich nicht zur Hilfe. "Das ist der Punkt, wo in Saudi-Arabien ein Umdenken stattgefunden hat", erklärt Adebahr. Die Regierung in Riad habe erkannt, dass man sich "mit den Iranern gutstellen oder zumindest eine Gesprächsbasis finden muss".  

Sebastian Sons sagt: "Iran und Saudi-Arabien haben, wie viele andere Länder in der Region, ähnliche Probleme: Klimawandel, Terrorismus, wirtschaftliche Probleme". Auf Dauer müsse man da zusammenarbeiten. "Das heißt aber nicht, dass man sich gegenseitig vertraut." Das verloren gegangene Vertrauen wiederherzustellen, brauche viel Zeit. "Daran wird sich auch festmachen lassen, ob es bei einer diplomatischen Annäherung bleibt, die eher Symbolcharakter hat oder ob es darüber hinausgeht".

Lau Adebahr ist vor allem der iranischen Regierung daran gelegen, zu zeigen, dass sie auch selbst in der Lage ist, Konflikte in der Region zu lösen, sagt Experte Adebahr. "Aus iranischer Sicht ist es sehr wichtig, dass die Länder sich untereinander einigen können und dass es keine Schutzmächte gibt", wie die USA es für Israel und zum Teil auch für Saudi-Arabien sind.

Nicht zuletzt könnte der starke innenpolitische Druck gegen den "Obersten Führer" des Iran Ali Chamenei zu einem Umdenken gegenüber dem Erzfeind geführt haben. Chamenei könne die Parolen gegen seine Person, die die Menschen auf den Straßen rufen, nicht überhören, schreibt der Journalist und Iran-Experte Ali Sadrzadeh im Iran Journal. Auch die in Regierung in Riad habe kein Interesse an einer "grundlegenden Veränderung im Nachbarland, wie sie sich unter dem Slogan ‚Frau, Leben, Freiheit‘ ankündigt", fügt er hinzu.

Wie wahrscheinlich ist eine dauerhafte Verbesserung der iranisch-saudischen Beziehungen?

Wie die Chancen für eine dauerhafte Annäherung Irans und Saudi-Arabiens stehen, ist momentan schwer zu sagen. Die angekündigte diplomatische Annäherung samt Wiedereröffnung der Botschaften hält Adebahr jedenfalls für wahrscheinlich. Denn für einen Rückzieher sei das Annäherungsversprechen der Staaten zu publikumswirksam gewesen. Hinzu komme, dass auch China nicht begeistert sein dürfte, falls es doch nicht zum angekündigten Austausch der Botschafter kommt. Denn die Volksrepublik gefällt sich gut in ihrer Rolle der Friedensstifterin. Mit der Vermittlung wolle China zu Sicherheit und Stabilität in der Golfregion beitragen, verkündete eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums. Peking sei "eine Kraft für Versöhnung, Frieden und Harmonie im Nahen Osten". Nebenbei ist China allerdings nicht nur der wichtigste Handelspartner Irans und Saudi-Arabiens, sondern selbst an einer Vermeidung von Konflikten im Nahen Osten interessiert, um die sogenannte Neue Seidenstraße – das Prestigeprojekt des Präsidenten Xi Jinping - voranzureiben.

Ferner ist China in der Lage, wirtschaftlichen Druck auszuüben, falls Saudi-Arabien oder Iran sich doch nicht an die Vereinbarung halten, sich gegenseitig in Ruhe zu lassen. An die Bereitschaft der Volksrepublik, auch militärisch einzugreifen, glauben allerdings weder Sons noch Adebahr.

Welche Chancen bietet eine Verbesserung der iranisch-saudischen Beziehungen?

"Die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen heißt einfach nur, dass man direktere Kanäle hat, dass man nicht über Umwege gehen muss und sich nicht nur bespricht, wenn man sich in einem Drittland bei einer Konferenz trifft", sagt Iran-Experte Adebahr. Man dürfe daher nicht zu viel von der Annäherung erwarten. "Das heißt nicht, dass hier ein Feuerwerk der Zusammenarbeit beginnt, sondern es wird pragmatisch, häufig auch mit der Faust in der Tasche sein."

Saudi-Arabien-Experte Sons vermutet, dass verbesserte Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu weniger bewaffneten Konflikte in der Region führen. Insbesondere bei Stellvertreterkriegen gebe es Hoffnung auf Deeskalation. "Das wird die Probleme im Jemen, Libanon, Syrien und dem Irak nicht zwingend lösen, aber es wird zumindest den Einfluss von externen Akteuren, wie Saudi-Arabien und dem Iran reduzieren." Dennoch warnt er davor, naiv zu sein: "Das kann extrem schnell auch wieder beschädigt werden", sagt Sons. Die Annäherung sei nicht mehr als "ein Pflänzchen zu mehr regionaler Integration".

Auch für die Menschen im Nahen Osten dürfe man die Auswirkungen dieses Schritts nicht überschätzen, sind sich Sons und Adebahr einig.

"Ich würde die Auswirkungen auf die Menschen in den Ländern als nicht so groß beschreiben", sagt Adebahr. Auf saudischer Seite müssten die Leute weniger Angst vor Drohnenangriffen haben. Vor allem aber könnte sich die Situation der Menschen im Jemen verbessern. Dennoch stellt Adebahr klar: "Beide Staatsführungen haben nicht in erster Linie die Belange der Gesellschaft im Sinn, es sind ja keine demokratisch gewählten, dem Wahlvolk verpflichteten Regierungen".

Genauso sieht es Sons: Saudi-Arabien und Iran wollten ihren Konfrontationskurs zwar zugunsten eines "Leben-und-leben-lassen-Prinzips" aufgeben, man dürfe dies aber auf keinen Fall mit einem Weg zu mehr Demokratie verwechseln. Die Annäherung "ist zwar für die militärische und regionale Stabilität der Region gut, aber wir reden hier nicht von einem demokratischen Aufbruch oder von einem Wandel hin zu mehr Zivilgesellschaft" – im Gegenteil: Wenn man Sons glaubt, dann wird die "Renaissance der autokratischen Systeme", wie er es nennt, dadurch eher gestärkt. Deswegen tut er sich auch schwer mit dem Begriff "Stabilität". "Wenn man Stabilität als Abwesenheit von bewaffneten Konflikten wahrnimmt, dann sieht man mit Sicherheit eine Verbesserung aufgrund dieser Annäherung." Anders sehe es aber aus, wenn man "Stabilität" auch über Menschenrechte, Minderheitenschutz und demokratische Ansätze definiere, erklärt der Politologe. "Das ist mit Sicherheit nicht das, was Saudi-Arabien und Iran mit ihrer Annäherung bezwecken wollen."

Kritik aus Israel

In Jerusalem ist man jedenfalls nicht erfreut über den neuen Weg der einstigen Erzfeinde: "Wer mit dem Iran paktiert, paktiert mit dem Elend", sagte Israels Premierminister Benjamin Netanyahu dem britischen Sender CNBC. Auch Israels Ex-Ministerpräsident Naftali Bennett kritisierte die Wiederannäherung scharf. Das Abkommen sei "ein Scheitern der israelischen Bemühungen, eine Koalition gegen Teheran aufzubauen", schrieb er auf Twitter. Er sprach von einer "gefährlichen Entwicklung für Israel".

Israel ist Irans Erzfeind und bemüht sich seit längerem um eine Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien. Der Iran stellt aber seit der Islamischen Revolution von 1979 Israels Existenzrecht in Frage. Der Analyst Ali Alfoneh schrieb zu der Annäherung auf Twitter, es bleibe abzuwarten, ob Teheran und Riad möglichen Sabotageakten seitens Israels Stand halten könnten. Ob der neue Kurs Irans und Saudi-Arabiens von Dauer ist, wird sich zeigen. Für die Menschen im Nahen Osten ist er zumindest ein Hoffnungsschimmer für etwas mehr Frieden in einer seit Jahrzehnten instabilen Weltregion.

Quellen: dpa, Iran Journal, CNBC