Bei der Geburt geben ihm die Eltern den Namen Tim. Doch als männlich hat er sich nie empfunden. Schon als kleines Kind will er immer ein Mädchen sein, er trägt Röcke, spielt mit Puppen. Was anfangs noch ein kindliches Rollenspiel ist, entwickelt sich bald zu einer ernsten Angelegenheit. Die Eltern reagieren verständnisvoll; nur draußen, in der Öffentlichkeit, soll Tim "geschlechtsneutrale" Kleidung tragen.
Doch das Kind leidet immer heftiger darunter, im falschen Körper zu stecken. Im Alter von vier Jahren will es sich "das Ding abschneiden". Als Tim in die Pubertät kommt, reagiert sie panisch: "Da haben wir ihre Not erkannt, ihre Ängste vor Bartwuchs und Stimmbruch", sagt Vater Lutz.
Jüngste Patientin Deutschlands
Die Eltern lassen sich zwei unabhängige Gutachten erstellen: Beide bestätigen, dass das Kind transsexuell ist. Tim wird nun im Endokrinologikum (Hormon-Zentrum) in Hamburg von Dr. Achim Wüsthof behandelt, sie ist die jüngste Patientin Deutschlands. Der Spezialist stoppt mit Spritzen zuerst die männliche Pubertät und verschreibt dann Hormone, die die weibliche Veränderung des Körpers anregen.
Schließlich bekommt sie auch den ersehnten neuen Namen, ganz amtlich: Aus Tim wird Kim. Im Alltag versucht Kim, ihre Transsexualität zu vergessen. Sie will nicht auf diesen Aspekt reduziert werden - sie will wie ein normales Mädchen leben, "auch körperlich". Doch eine geschlechtsanpassende Operation ist in Deutschland erst mit Erreichen der Volljährigkeit erlaubt.
Kim hofft auf eine Sondergenehmigung, würde am liebsten schon mit 16 Jahren den Eingriff vornehmen lassen. "Das ist mein sehnlichster Wunsch: eine möglichst frühe OP."
Was ist Transsexualität?
Bei Transsexuellen entspricht das körperliche Geschlecht nicht der empfundenen Geschlechtsidentität. Somit sind transsexuelle Menschen biologisch zwar eindeutig weiblich oder männlich, jedoch nehmen sie sich als Angehörige des anderen Geschlechts wahr und verhalten sich auch entsprechend. Gewöhnlich streben Transsexuelle danach, sich auch körperlich dem gefühlten Geschlecht anzupassen.
Der Begriff Transsexualität bezieht sich also auf eine Störung der Geschlechtsidentität und nicht etwa auf eine sexuelle Ausrichtung, wie zum Beispiel bei der Homosexualität. Etwas vollkommen anderes ist auch die Intersexualität: Sie liegt vor, wenn ein Mensch körperlich nicht eindeutig einem Geschlecht angehört.
Was sind die Ursachen?
Die Ursachen für das Entstehen von Transsexualität sind nicht hinreichend geklärt. Ausschließlich psychische oder soziale Ursachen werden inzwischen ausgeschlossen. Möglicherweise sind vorgeburtliche Hormonstörungen ein Auslöser. Die meisten Transsexuellen berichten, das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, von frühester Kindheit an gehabt zu haben - und nicht etwa erst mit Beginn der Pubertät.
Wie viele transsexuelle Menschen gibt es?
Genaue Zahlen gibt es nicht. Experten gehen davon aus, dass in Deutschland auf 50.000 Geburten ein transsexueller Mensch kommt.
Wie funktioniert eine Geschlechtsanpassung?
Zunächst einmal gibt es eine Hormonbehandlung, die dem Körper die Sexualhormone des gefühlten Geschlechts zuführt und die körpereigenen Hormone zurückhält. Bei körperlich männlichen Transsexuellen können Penis und Hoden entfernt und eine künstliche Vagina geformt werden. Bei körperlich weiblichen Transsexuellen können Eierstöcke und Gebärmutter entfernt werden. Die Konstruktion eines künstlichen Gliedes ist möglich, gilt jedoch als sehr schwierig, und für viele Transsexuelle sind die Ergebnisse unbefriedigend.
Nach den operativen Eingriffen können Transsexuelle meist ohne Probleme Geschlechtsverkehr ausüben; zeugungsfähig sind sie jedoch nicht.
Wann kann eine Behandlung begonnen werden?
Psychiatrische Gutachten müssen die Transsexualität feststellen und andere psychische Störungen ausschließen. Die transsexuelle Identität muss außerdem mindestens drei Jahre lang durchgehend bestanden haben.
Den richtigen Zeitpunkt für den Beginn einer Hormonbehandlung zu bestimmen, ist schwierig. Einerseits ist ein früher Start von Vorteil, weil bestimmte körperliche Entwicklungen nach der Pubertät unumkehrbar sind (zum Beispiel Stimmbruch) beziehungsweise die Behandlung später ungleich schwieriger und riskanter ist. Andererseits sind vor der Pubertät noch nicht alle "normalen" Hormone vorhanden, so dass dem Patienten bei einer frühzeitigen Behandlung die Chance genommen wird, sich mit den eigenen Hormonen auseinander zu setzen.
Operative Eingriffe sind erst mit der Volljährigkeit erlaubt.
Kann man den Vornamen offiziell ändern lassen?
Zunächst einmal müssen zwei unabhängige psychologische Gutachten vorliegen, dann regelt auf Antrag ein gerichtliches Verfahren die Namens- und Personenstandsänderung. Wird sie positiv beschieden, gilt der neue Name uneingeschränkt, auch rückwirkend - und zum Beispiel alte Zeugnisse können umgeschrieben werden.
Weitere Informationen und Kontakte
Dr. Achim Wüsthof
Hormonsprechstunde für Kinder und Jugendliche
Endokrinologikum Hamburg
Lornsenstr. 4-6
22767 Hamburg
Psychologische Gutachten:
Dr. Bernd Meyenburg
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes und Jugendalters
Uni Frankfurt/Main
Deutschordensstr. 50
60528 Frankfurt/Main
Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.:
www.dgti.org