Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sprach am Dienstag nach einer Sondersitzung des Ministerrats von einem guten Gleichgewicht zwischen Verbraucher- und Umweltschutz sowie den Interessen der Industrie. Höhere Kosten würden durch Einsparungen bei Gesundheit und Umwelt mehr als wettgemacht. Umwelt- und Verbraucherverbände beklagten dagegen, die Chance für einen starken Schutz vor gefährlichen Stoffen sei verpasst worden. Die Chemikalienverordnung (Reach) sieht die Registrierung und Tests von rund 30.000 Chemikalien vor. Die EU-Staaten müssen sich jetzt noch mit dem EU-Parlament einigen, das einen strengeren Schutz vor besonders gefährlichen Chemikalien verlangt hatte. Die EU-Kommission setzt darauf, dass Reach 2007 in Kraft tritt.
Deutschland drängte auf unbefristete Genehmigungen gefährlicher Stoffe
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos begrüßte, dass es gelungen sei, eine wirtschaftsfreundliche Lösung durchzusetzen. Damit werde die Attraktivität Deutschlands als Industriestandort gesichert. Die ursprünglich von der chemischen Industrie scharf kritisierten Vorschläge der EU-Kommission waren bereits im EU-Parlament von einer großen Zweckkoalition von Sozial- und Christdemokraten entschärft worden. Besonders für Stoffe, die nur in geringen Mengen hergestellt werden, hatten die Abgeordneten die Testanforderungen deutlich gesenkt. Dies wurde von den Ministern weitgehend übernommen. Im Gegenzug hatte das Parlament für besonders gefährliche Stoffe neue Auflagen vorgeschlagen und wollten die Genehmigung für solche Substanzen auf fünf Jahre beschränken.
Auch auf deutsches Drängen hin habe der Ministerrat sich nun aber für unbefristete Genehmigungen gefährlicher Stoffe ausgesprochen, sagte Gabriel. Damit soll eine Investitionshürde beseitigt werden. "Ich kenne nicht viele Unternehmen, die sich mit einer fünfjährigen Befristung in Forschungsvorhaben stürzen", sagte Gabriel. Stattdessen soll eine geplante EU-Chemikalienbehörde in Helsinki die Verwendung derartiger besonders gefährlicher Stoffe überwachen und sie notfalls aus dem Verkehr ziehen. Eine ähnliche Lösung streben auch die Konservativen im Parlament an.
Schlufploch eingeführt
Sieben Umwelt- und Verbraucherverbände, darunter Greenpeace und der WWF, erklärten gemeinsam, die Minister hätten ein Schlupfloch für besonders gefährliche Stoffe eingeführt. Darunter fallen Substanzen, die beispielsweise als Krebs erregend oder erbgutschädigend gelten. Diese sollen nicht zwingend durch Alternativen ersetzt werden, wenn sie angemessen kontrolliert werden. Angemessen kontrolliert sind Stoffe, die während der Herstellung eines Produktes freigesetzt werden, aber die Fabrik nicht verlassen. Dies war eine wichtige Forderung der Industrie. Hersteller von Computerchips hatten bei Industriekommissar Günter Verheugen nach Angaben aus EU-Kreisen gedroht, andernfalls ihre Fertigung aus der EU zu verlegen.
Die Bundesregierung setzte zudem auch durch, dass Forschungsprogramme länger als zunächst geplant ihre Stoffdaten nicht offen legen müssen. Die EU-Staaten wollen die Frist von zwei auf zehn Jahre verlängern. Gabriel sagte, sonst hätten Wettbewerbsvorteile verloren gehen können.
Reach ist ein weltweit einmaliges System und in den USA unbekannt. Um ein Unterlaufen der Regeln zu verhindern, müssen zentrale Vorschriften auch von Importeuren eingehalten werden, wenn ihre Produkte chemische Stoffe freisetzen können. Gabriel sagte, er sei zuversichtlich, dass dies den Regeln der Welthandelsorganisation WTO standhalte.
Wegen der Regierungsbildung in Deutschland war die ursprünglich für November geplante Entscheidung auf die Sondersitzung am Dienstag verschoben worden. Das EU-Parlament will seine Haltung abschließend im kommenden Jahr festlegen. Danach muss sich der Ministerrat nochmals mit den Vorschlägen des Parlaments beschäftigen. Dies ist für die zweite Hälfte kommenden Jahres geplant.
Reuters