Neuen Forschungen zufolge könnte das weltberühmte steinzeitliche Monument Stonehenge in der Nähe von Salisbury im Südwesten Englands jahrhundertelang in Wales gestanden haben. Das geht aus einem Artikel hervor, der jetzt in der archäologischen Fachzeitschrift "Antiquity" veröffentlicht wurde. Die spektakulären Erkenntnisse über die 3000 v. Chr. erbaute Anlage könnten eine mittelalterliche Legende teilweise bestätigen. Danach soll der Zauberer Merlin einst einen magischen Steinkreis namens Giant's Dance (Tanz der Riesen) aus irischem Herrschaftsgebiet gestohlen und nach England geschafft haben, wo er ihn wieder aufstellen ließ.
Unumstritten ist, dass die als Megalithen bezeichneten riesigen Felsblöcke in Stonehenge aus einem Steinbruch im Südwesten von Wales stammen. Die sogenannten Blausteine wurden also in jedem Fall rund 225 Kilometer Luftlinie weit transportiert.
Stonehenge-Stein passt "wie ein Schlüssel ins Schlüsselloch"
Den Wissenschaftlern vom University College London (UCL) zufolge wurden nun ganz in der Nähe des Steinbruchs Spuren entdeckt, die auf eine ähnliche Anlage hindeuten, wie sie seit etwa 5000 Jahren in Stonehenge steht – nur dass die Steine offenbar entfernt wurden. Der Graben, der den Steinkreis von Waun Mawn einst umgab, entspricht mit 110 Metern zudem genau dem Radius des Grabens in Stonehenge. Beide Kreise sind auf den Sonnenaufgang zur Sommersonnwende ausgerichtet.
Die Archäologen stießen bei der Anlage in Wales auf eine ganze Reihe von ehemaligen Löchern, auf die die Stonehenge-Megalithen genau passen, in einem Fall sogar "wie ein Schlüssel ins Schlüsselloch", zitiert die britische Zeitung "The Guardian" die Wissenschaftler. Datierungen aus dem Steinbruch ergaben zudem, dass die Stonehenge-Felsblöcke Jahrhunderte vor der Errichtung des weltberühmten Monuments herausgebrochen wurden – zeitgleich mit der Errichtung des Steinkreises von Waun Mawn.

Die Stätte von Waun Mawn befindet sich rund 280 Kilometer von Stonehenge entfernt. Sie ist einer der ältesten Steinkreise in Großbritannien und der drittgrößte des Landes. Ihre Umgebung war bis 3000 v. Chr. ein wichtiges und dicht besiedeltes Gebiet – bis die Bewohner plötzlich von dort verschwanden. "Vielleicht sind die meisten Menschen abgewandert und haben ihre Steine – ihre angestammte Identität – mitgenommen", glaubt der leitende Archäologe der Untersuchung Mike Parker Pearson vom UCL.

Bereits vor rund 100 Jahren hatte der Geologe Herbert Thomas vermutet, dass die Megalithen von Stonehenge schon Teil eines früheren Heiligtums in Wales waren. Nun scheint sich diese Theorie zu bestätigen. "Ich forsche seit 20 Jahren über Stonehenge und das ist wirklich das Aufregendste, was wir jemals gefunden haben", zitiert der "Guardian" Pearson.
"Es bleibt doch ein gewisses Unbehagen"
Doch es gibt auch skeptische Stimmen hinsichtlich der Interpretation der UCL-Wissenschaflter: Der britische Archäologe Vincent Gaffney von der University of Bradford bezweifelt, dass sich aus den Daten seiner Kollegen genügend Hinweise ergeben, um derart detailliert Wanderungen zwischen Waun Mawn und der Salisbury Plain nachzuweisen, wie das Wissenschaftsmagazin "Spektrum" berichtet. "Die grundsätzlichen Vorschläge von Mike Parker Pearson zur Bewegung von Materialien und sogar Menschen mögen im Großen und Ganzen richtig sein", sagt Gaffney der Zeitschrift. "Aber es bleibt doch ein gewisses Unbehagen über die Art und Weise, wie die Daten interpretiert werden." Die Hypothese, die Menschen seien mit ihren Blausteinen von Waun Mawn nach Stonehenge migriert, sei zwar plausibel, aber eben längst nicht gesichert.
"Weitere Ausgrabungen sind notwendig", sagte "Spektrum" zufolge denn auch Tim Kinnaird von der University of St Andrews, der die Daten von Waun Mawn ausgewertet hat.
Die Megalithsteine von Stonehenge geben den Forschern seit Jahrhunderten Rätsel auf. Die gängigste Theorie zur Entstehung des Steinkreises lautet, dass Menschen schon in der damaligen Zeit den astronomischen Kalender verstanden hätten. Im Jahr 1986 wurde die Stätte in die Welterbeliste der UN-Kulturorganisation Unesco aufgenommen.