Stonehenge, das kultische Monument aus der Steinzeit, ist jedem bekannt. Weniger bekannt ist, dass der gewaltige Steinkreis kaum 200 Meter von einer viel befahrenen Fernstraße, der A303, liegt. Hier staut sich der Verkehr und der Anblick der Straße stört den Eindruck der Kultstätte. Die Straße liegt so nah, weil sie historisch auf uralten Routen basiert.
Die britische Regierung will das Problem seit Jahren mit dem Bau eines etwa 3,6 Kilometer langen Tunnels lösen. Er hätte eine größere Kapazität als die Straße, dazu wäre er "unsichtbar" – auf der alten Trasse soll in Zukunft ein Fußweg verlaufen. Das hört sich verlockend an, stößt aber auf Widerstand. Denn der Tunnelbau würde massiv in die Umgebung des Platzes eingreifen.
Regierung gibt nicht nach
Schon im Juli 2021 wurde ein erster Versuch zum Tunnelbau vom Obersten Gerichtshof gestoppt, wegen der Bedenken, dass der Bau negative Auswirkungen auf das UNESCO-Weltkulturerbe haben könnte. Im Sommer 2023 hat das Verkehrsministerium eine neue Anordnung erlassen – mit minimalen Änderungen, so die Gegner.
Nun wurde auch gegen die neue Anordnung Klage erhoben. Der Prozess beginnt am 12. Dezember. Die Stonehenge Alliance glaubt, dass der Tunnelbau der Gegend um Stonehenge großen Schaden zufügen wird. "Angesichts der Gleichgültigkeit der Regierung gegenüber dem Schaden, den dieser Weg anrichten wird, haben wir keine andere Wahl, als diese Klage einzureichen", sagte John Adams, Vorsitzender der Stonehenge Alliance. "Wie zuvor hoffen wir, dass es uns gelingt, diesen Vandalismus zu stoppen."
Bekannte Historiker führen Kampf an
Die rechtliche Auseinandersetzung wird von der Gruppe "Save Stonehenge World Heritage Site" geführt, die auch hinter der erfolgreichen Klage vor dem High Court stand. Beiden Gruppen gehören angesehene Historiker, Archäologen, Aktivisten und Druiden an. Der bekannte Historiker und TV-Moderator Dan Snow sagte, es sei "erstaunlich", dass die Regierung an einem so "schädlichen Plan" festhalte, obwohl sie auf "so viel" Widerstand stoße, und forderte den Minister auf, "sich etwas Besseres einfallen zu lassen".
Der Historiker und Bestsellerautor Tom Holland ist Präsident der Stonehenge Alliance. Er betonte, dass die neue rechtliche Auseinandersetzung notwendig sei, um "eine Entwicklung zu stoppen, die, wenn sie zugelassen wird, die Landschaft von Stonehenge dauerhaft und unwiderruflich entweihen wird". Das Ganze sei "ein Akt des Vandalismus, der Großbritannien beschämt". Auch der Druide "König Arthur Pendragon" wird vor dem Obersten Gerichtshof in London gegen den Tunnelbau protestieren. "Das ist die Arroganz der Regierung. Die zuständigen Inspektoren haben gesagt, das sei eine schlechte Idee, aber die Regierung hat sie einfach ignoriert und entschieden, dass sie verdammt noch mal tun werden, was immer sie wollen." Tatsächlich hat das Verkehrsministerium die Bedenken der eigenen Fachleute beiseite geschoben.
Doch so illuster und bunt die Anti-Tunnel-Allianz ist, bleibt es ein Kampf "David gegen Goliath", so Tom Holland. Für die neue Auseinandersetzung konnten 80.000 Pfund gesammelt werden. Doch mit diesem Budget tritt die Allianz gegen die geballte Kraft des Regierungsapparates an, der das 1,7-Milliarden-Pfund-Projekt unbedingt durchsetzen will.
Mehr als nur der Steinkreis
Nach Fertigstellung würde der Tunnelabschnitt zwar unterirdisch verlaufen, aber er würde die Form der Oberfläche und damit das Erscheinungsbild der Kultstätte verändern. Am stärksten dürften die Erdarbeiten ins Gewicht fallen. Hier würde man über die Länge von fast vier Kilometern eine riesige Schneise ins Erdreich fräsen. In einer Tiefe, die seit dem Bau und der aktiven Zeit der Kultstätte unberührt geblieben ist. Heute erscheint der Steinkreis als einsamer Solitär in einer Wiesenlandschaft. Archäologisch täuscht der romantische Eindruck der Verlassenheit. Die Monolithen waren der Mittelpunkt eines geschäftigen, religiösen Zentrums, das über Tausende von Jahren genutzt wurde.
Neue archäologische Methoden zeigen, dass die ganze Umgebung von Kultstätten und Anlagen durchzogen ist. Unter der Wiesenlandschaft bleiben sie dem menschlichen Auge verborgen. Anders als der Steinkreis sind sie von der Landschaft verschluckt worden. Vincent Gaffney von der University of Birmingham sagte, man wisse höchstens zu zehn Prozent, was Stonehenge wirklich war und wie die Anlage im Einzelnen aussah.
Archäologie des Unscheinbaren
Auch die Archäologie hat sich weiterentwickelt. Zu Beginn im 19. Jahrhundert waren die Archäologen auf Schätze und spektakuläre Funde fokussiert. Heute ist man in der Lage, aus kleinsten Überresten, einzelnen Knochensplittern oder Schichten von Müll weitreichende Erkenntnisse über das frühere Leben zu gewinnen. Früher hätte man einen Abort einfach abgeräumt, heute bietet er mehr Informationen als ein stolzes Schwert oder ein Schmuckkasten. Diese im Einzelnen eher unspektakulären Spuren würden die Bauarbeiten unwiederbringlich zerstören.
Quelle: Guardian, The Times, Independent