Wie eigene Kinder Julia Sesto päppelt Eichhörnchen-Babys. Sie erlebt wahres Mutterglück

Eichhörnchen-Babys aufziehen - ein süßer Fulltime-Job
Der Lebensraum für Eichhörnchen in Städten schwindet. In ihrer Not nisten die unter besonderem Schutz stehenden Tierchen an Balkonen und Hauswänden. Anstatt auf Äste plumpsen ihre Babys dann zu Boden - und sind auf Hilfe von Menschen wie Julia Sesto angewiesen.

Was war für Sie der Anstoß, sich um verwaiste Eichhörnchen-Babys zu kümmern?

Neben unserem Balkon in einer Fichte lebte ein Eichhörnchen-Pärchen. Ich habe immer gerne beobachtet, wenn sie sich in den Bäumen jagten und an Hausmauern hochkletterten. Im Herbst legte ich ihnen Walnüsse raus und hatte bald viele Balkongäste. Ich suchte im Internet nach weiteren Informationen und lernte, dass Eichhörnchen zu den "besonders geschützten Tierarten" gehören, dass ihr Lebensraum vor allem in den Städten bedroht ist und es bundesweit Initiativen gibt, die sich für ihr Überleben einsetzen. In München ist das der Verein "Eichhörnchenschutz e.V.", mit dem ich dann sofort Kontakt aufnahm.

Warum gibt es so viele Eichhörnchen-Waisenkinder?

Eichhörnchen bauen Kobel (Nester) in Nadelbäumen. Dort sind sie auch im Winter, wenn andere Bäume kahl sind, geschützt vor Raubvögeln und Katzen. Das ist wichtig, denn sie beginnen schon im Januar mit der Aufzucht ihres ersten Wurfs. Aber es gibt immer weniger Fichten und Tannen in den Großstädten, die Eichhörnchen nisten dann notbehelfsmäßig an Hauswänden, unter Dachfirsten oder an Balkonen. Wenn die Babys dann neugierig aus den Kobeln klettern, fallen sie auf den Boden und verletzen sich oft.

© privat

Im Interview

Julia Sesto (41) kümmert sich um verwaiste Eichhörnchen-Babys. Fotos ihrer Schützlinge sind auch auf Facebook zu sehen. Dort betreibt sie die Seite Eichhörnchen-Liebe.

Soll man die Eichhörnchenbabys wirklich anfassen? Dann erkennt sie doch die Mutter nicht mehr am Geruch...

Das trifft für Eichhörnchen nicht zu. Und die Mütter können ihre Babys ja auch nicht mehr zurück in die Kobel bringen und weiter versorgen. Die Findelkinder suchen im Übrigen sogar aktiv Hilfe bei Menschen. Es gibt Finder, die erzählen, die Babys hätten sich an ihre Hosenbeine geklammert. Mein derzeit ältestes Eichhörnchen Linus wurde von einer älteren Dame gebracht, die erzählte, er sei einfach an ihrem Fahrrad hochgeklettert.

Was soll man als erstes tun?

Im Internet findet man schnell die Telefonnummer des nächsten Eichhörnchen-Hilfe-Vereins. Von uns hat immer jemand das Notruftelefon dabei. Anrufen und mittteilen, wo man es gefunden hat, ob es verletzt ist, ob es zum Beispiel von einer Katze gebissen wurde. Solche Infos sind wichtig, denn der Speichel von Katzen enthält bestimmte Erreger, die für Eichhörnchen lebensgefährlich sein können. Wir wissen dann, dass wir Antibiotika brauchen. Die Tiere haben Todesängste und brauchen einen dunklen und warmen Ort, um zur Ruhe zu kommen. Das kann ein Körbchen mit Handtuch obendrauf oder eine Kiste sein, in die man ein Tuch gefaltet hat. Am besten, die Retter bringen es gleich selbst bei uns vorbei. Wir alle haben ja auch Berufe und können nicht den ganzen Tag in der Stadt hin- und herfahren, um Eichhörnchen-Waisen einzusammeln. Hier in München erreichen uns derzeit mehrere Notrufe am Tag.

Tierheime sind keine Alternative?

Die Mitarbeiter dort wissen in der Regel nicht, wie man Eichhörnchen aufzieht, ebensowenig Tierärzte. Die melden sich bei uns, damit wir sie holen. Man kann sehr viele Fehler machen. Wir Vereine unterhalten seit vielen Jahren ein bundesweites Netz und tauschen wichtige Tipps aus. Wir haben zum Beispiel Medikamenten–Listen und wissen, was die Tiere vertragen und was nicht.

Was kann man alles falsch machen bei der Aufzucht?

Immer wieder geben Finder den Eichhörnchen-Babys Kuhmilch. Die aber vertragen nur Ziegen- oder Katzenaufzuchts-Milch. Vor der ersten Fütterung wiegen wir die Babys. Wiegt eines 80 Gramm, geben wir vier Milliliter, bei 100 Gramm sind es fünf. Es ist wichtig, sich an diese Grenzen zu halten, denn die Tiere würden immer weiter trinken. Wir füttern sie über kleine Spritzen direkt ins Mäulchen. Sehr vorsichtig, sie dürfen sich nicht verschlucken, sonst haben sie sofort eine Lungenentzündung. In den ersten Stunden aber steht nicht die Ernährung im Vordergrund. Oft sind die Babys dehydriert, sie brauchen dann viel Wasser mit Elektrolyten.

Und wie oft müssen sie gefüttert werden?

Am Anfang alle zwei Stunden, und das auch nachts. Das kann sehr anstrengend werden.

Wie viele Eichhörnchen haben Sie gerade?

Sechs. Zwei sind noch sehr jung, die brauchen noch alle drei Stunden Nahrung, zwei sind schon älter und kommen mit einer Mahlzeit alle fünf bis sechs Stunden aus. Zwei sind schon 13 Wochen alt und bekommen keine Milch mehr. Sie stehen kurz vor der Auswilderung.

Das klingt alles nach einem 24-Stunden-Job. Will man sich das wirklich antun?

Wenn nachts der Handywecker klingelt und ich schlaftrunken in die Küche wanke, um die Milch auf Körpertemperatur zu erhitzen, frage ich mich das auch manchmal. Zumal die Eichhörnchen-Babys ganz auf mich als Bezugsperson fixiert sind. Von meinem Mann nehmen sie kein Futter an. Aber wenn ich dann ins Zimmer kommen und sehe, wie sie mich mit großen Augen angucken und schon auf mich warten, dann schmilzt mir das Herz. Und nachdem ich sie nacheinander gesäugt habe, zehn Minuten pro Tier, fühle ich mich unbeschreiblich glücklich und möchte am liebsten noch eine Stunde mit ihnen spielen und kuscheln. Da werden Mutterhormone aktiv, glaube ich, es fühlt sich fast so an wie eigene Kinder. Und die Eichhörnchen-Babys fordern diese Nähe auch ein, sie brauchen viel Zärtlichkeit und Körperkontakt.

Und wenn sie älter werden?

Eichhörnchen sind Wildtiere, es ist ganz natürlich, dass sie ihre Zutraulichkeit verlieren. Mein Ältester Linus hing anfangs ständig an mir, heute kann ich mit ihm allenfalls noch "Baum spielen", ihn also an mir hoch- und runterklettern lassen. Er hat mich auch schon in die Hand gebissen.

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Aus dem Alltag einer Eichhörnchen-Ziehmutter

Wie geht es denn jetzt weiter mit Linus?

Diese Woche noch bringen wir ihn in eine große Außenvoliere am Waldrand. Im Gehege dort wird er die nächsten zwei Wochen mit seinen Artgenossen verbringen. Irgendwann werden wir die Tür öffnen, dann kann er raus, aber sie bleibt offen, sodass er nachts zurückkehren kann, wenn er will.

Ist er denn überlebensfähig? Schließlich hat ihm niemand beigebracht, Nüsse zu knacken...

Das Knacken von Nüssen scheint Eichhörnchen in die Gene gelegt zu sein. Wir müssen ihnen nur welche geben. Natürlich nicht gleich große Haselnüsse. Linus hat nach sieben Wochen die ersten Zirbelnüsse und Kiefernsamen bekommen. Er wusste sofort was damit anzufangen.

Woher bekommt man die?

Man kauft sie bei Tiernahrungshändlern, und das Hauptproblem ist, dass sie recht teuer sind. So wie auch alles andere, was man für die Aufzucht von Eichhörnchen braucht - Spritzen, Pipetten, Medikamente, Käfige. Deshalb sind wir auf Spenden angewiesen. Der Staat schützt zwar viele Wildtiere, bezahlt aber denjenigen keinen Cent, die sich darum kümmern.

Wissen die Vereine denn, ob ihre Eichhörnchen draußen in der Natur wirklich überleben?

Die Vorsitzende unseres Vereins hat schon viele ausgesetzte Tiere später mit eigenem Nachwuchs wiedergesehen. Natürlich überleben viele den ersten Winter nicht, aber das ist bei wild aufgezogenen Eichhörnchen nicht anders. Sie finden heute in Städten nicht mehr so viel Nahrung wie früher und verhungern.

Wird es schwer, sich von Linus zu trennen?

Ich werde Rotz und Wasser heulen, das ist sicher. Aber ich glaube, er ist bestens vorbereitet für das Leben in der Natur. Und er ist eben ein Wildtier, es ist der Lauf der Dinge, dass man sich irgendwann trennen muss.

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