Wenn bei Prüfungen bestimmte Teilleistungen wie etwa die Rechtschreibung nicht bewertet werden, darf das im Zeugnis vermerkt werden. Dies darf aber nicht auf Fälle der Lese- und Rechtschreibstörung Legasthenie begrenzt werden, wie das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch in Karlsruhe entschied. Sonst würden Schülerinnen und Schüler mit Legasthenie benachteiligt.
Abiturienten aus Bayern ziehen vor das Bundesverfassungsgericht
Drei ehemalige Abiturienten aus Bayern hatten somit Erfolg mit ihren Verfassungsbeschwerden, weil es bei Schülerinnen und Schülern mit anderen Behinderungen keine Zeugnisvermerke gab, obwohl einzelne Teilleistungen nicht bewertet wurden. Die Kläger befürchten, dadurch Nachteile auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Sie machten im Jahr 2010 Abitur mit guten bis sehr guten Noten. In den Zeugnissen wurde vermerkt, dass ihre Rechtschreibung nicht bewertet worden war. Die Vermerke seien verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, erläuterte Gerichtspräsident Stephan Harbarth. (Az. 1 BvR 2577/15 u.a.)
Die Kläger sahen sich durch die Vermerke im Abiturzeugnis diskriminiert und hatten sich durch die Instanzen geklagt. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof verpflichtete den Freistaat dazu, ihnen Abiturzeugnisse ohne den Hinweis auszustellen. 2015 erteilte ihnen das Bundesverwaltungsgericht eine Absage. Dagegen reichten sie Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe ein. Das höchste deutsche Gericht hob nun die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts auf. "Damit werden die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs rechtskräftig, wonach den Beschwerdeführern ein Abiturzeugnis ohne Zeugnisbemerkung auszustellen ist."
Nachteilsausgleich für Legastheniker
Legastheniker lesen deutlich schlechter und langsamer als andere Menschen, außerdem machen sie oft mehr Fehler bei der Rechtschreibung. Nach Angaben der bayerischen Regierung betrug der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Lese- und Rechtschreibstörung im Jahr 2019 an den Gymnasien im Bundesland 1,8 Prozent und an allen bayerischen Schulen im Schnitt 3,4 Prozent.
Menschen mit Behinderung bekommen in Schulprüfungen einen sogenannten Nachteilsausgleich. Das kann zum Beispiel bei Legasthenikern bedeuten, dass sie mehr Zeit zum Schreiben bekommen. Außerdem gibt es in vielen Bundesländern – darunter Bayern – die Option auf "Notenschutz". Auf Antrag lassen Lehrkräfte die Rechtschreibung dann nicht in die Noten mit einfließen. Sie vermerken im Zeugnis bislang, dass sie die Leistung anders bewertet haben.
Dem Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie zufolge sind etwa zwölf Prozent der Bevölkerung in Deutschland von mindestens einer der Beeinträchtigungen betroffen. Bei Dyskalkulie oder Rechenstörung sind Rechenfertigkeiten beeinträchtigt, ohne dass das allein durch eine Intelligenzminderung oder unangemessene Beschulung erklärbar wäre.