Den Rettungskräften läuft die Zeit bei der Suche nach den mehr als 20 Vermissten in dem havarierten Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia" davon. Hoffnung, fünf Tage nach dem Unglück vor der italienischen Küste in dem eiskalten Wasser noch Überlebende zu finden, bestand kaum noch. Taucher mussten aus Sicherheitsgründen am Mittwoch ihre Arbeit vorübergehend sogar unterbrechen, nachdem die auf einem Felsen aufgelaufene "Costa Concordia" erneut um einige Zentimeter abgerutscht war. Für die kommenden Tage sagten Meteorologen zudem stärkeren Wind voraus, was dazu führen könnte, dass das auf einem Felsvorsprung aufsitzende Wrack weiter in die Tiefe gerissen wird. Damit würde die Gefahr einer Umweltkatastrophe steigen, denn noch immer befinden sich etwa 2300 Tonnen Treibstoff an Bord. Diese sollen erst abgepumpt werden, wenn die Rettungsarbeiten beendet sind.
Die Suche nach den Vermissten gestaltete sich schwieriger als gedacht. "Die Sicht ist miserabel", sagte der Höhlentaucher Giuseppe Minciotti, einer der vor Ort eingesetzten Spezialisten. "Gestern konnte ich meine Hand vor meinem Gesicht nicht sehen." Er habe nach einem vorbeiziehenden Gegenstand gegriffen und erst nach dem Auftauchen erkannt, dass es der Schuh einer Frau gewesen sei. Viele Bereiche des Schiffs können die Taucher auch gar nicht erreichen. Deswegen sollen weitere Öffnungen in den Meeresriesen geschlagen werden.
Die Bergungskräfte planten, ihre Suche auf das zum Teil unter Wasser liegende vierte Deck zu konzentrieren, sagte der Sprecher der Küstenwache, Cosimo Nicastro. Im Bereich des dortigen Versammlungspunkts seien Passagiere und Besatzungsmitglieder von Bord gegangen. Und genau dort seien sieben der bislang insgesamt elf geborgenen Leichen gefunden worden.
Offiziell galten bis Dienstagabend 28 Menschen als noch vermisst, darunter nach Angaben des italienischen Innenministeriums 13 Deutsche, vier Franzosen, fünf Italiener, zwei US-Bürger und vier Besatzungsmitglieder aus Italien, Indien, Ungarn und Peru. Allerdings sind nach Einschätzung von Behörden vermutlich die fünf am Dienstag entdeckten und noch nicht identifizierten Verstorbenen darunter. Überlebende wurden zuletzt am Sonntag entdeckt.
Kapitän weist Vorwürfe zurück
Verwandte einzelner Vermisster trafen derweil vor Ort ein, so auch Sartonino Soria aus Peru, der seine Tochter Erika sucht. Sie war Teil der Besatzung. Soria appellierte an die Rettungskräfte, die Suche nicht einzustellen. "Deshalb sind wir hier und wir werden nicht gehen, bis Erika gefunden ist."
Die 114.500 Tonnen schwere "Costa Concordia" war Freitagabend mit mehr als 4200 Menschen an Bord vor der toskanischen Insel Giglio auf einen Felsen gelaufen und zur Seite gekippt. Unter Wasser wird sie derzeit von einem Gesteinsvorsprung in etwa 20 Meter Tiefe gestützt. Unweit davon fällt der Meeresgrund aber rasch bis auf 130 Meter ab. Die Behörden werfen Kapitän Francesco Schettino vor, fahrlässige Tötung in mehreren Fällen vor. Er soll das Schiff zu nah an die Küste gesteuert und dann verlassen haben, bevor alle Passagiere und Besatzungsmitglieder von Bord waren. Er steht seit Dienstagabend unter Hausarrest, nachdem er zuvor in der Untersuchungshaft verhört worden war. Nach Angaben seines Anwalts hat er alle Vorwürfe von sich gewiesen. Vielmehr sei er der Ansicht, Hunderte, wenn nicht gar Tausende gerettet zu haben, weil er das Schiff nah an die Küste gelenkt habe, nachdem es gegen einen Felsen gelaufen sei.
In Italien allerdings hat sich spätestens seit der Veröffentlichung des dramatischen Funkverkehrs zwischen dem Küstenwachen-Kommandanten Gregorio De Falco und Schettino ein anderer Eindruck verfestigt. Der Mitschnitt, dessen Echtheit noch nicht bestätigt ist, dokumentiert, wie De Falco den bereits von Bord gegangenen Kapitän immer wieder auffordert, an Bord zurückzukehren. Für seinen strengen Ton feierte die italienische Presse De Falco am Mittwoch. Der "Corriere della Sera" dankte ihm auf der Titelseite. Seine energischen und entschiedenen Worte seien auch ein Appell an das persönliche Verantwortungsgefühl der Italiener insgesamt.
Nach Schätzungen von Experten könnte das Schiffsunglück der größte Versicherungsschaden in der Geschichte der Seefahrt werden. Die Angaben der Versicherer deuten auf einen Schaden zwischen 500 Millionen Euro und einer Milliarde Euro hin. Der weltgrößte Rückversicherer Münchener Rück schätzt die auf ihn zukommende Belastung auf rund 50 Millionen Euro, die Hannover Rück geht für sich von mehr als zehn Millionen Euro aus. Auch die Allianz ist betroffen.