Herr Chatupa, fast 50 Jahre hat die Bundeswehr "nur" trainiert. Nun ist sie auch in Kampfgebieten tätig. Wie hat das die Stimmung in der Truppe verändert?
Ich habe bislang überwiegend motivierte Soldaten im Einsatz vorgefunden - solange die Rahmenbedingungen stimmen, also Ausrüstung, Unterkunft, Ernährung und ähnliches.
Was motiviert Soldaten, an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilzunehmen?
Es ist lukrativ, denn die Aufwandsentschädigung, die zusätzlich ausgezahlt wird, ist steuerfrei. Aber ich glaube, dass das nicht der zentrale Grund ist. Wichtiger ist, dass Soldaten, die auf Einsätze vorbereitet werden, auch zum Einsatz kommen wollen. Es ist viel schwieriger für Soldaten, immer nur in Bereitschaft bleiben zu müssen. Das ist so, als wären Sie eine ausgebildete Krankenschwester und dürften nie mit einem Patienten arbeiten. Mit dem Einsatz schließt sich der Kreis der Ausbildung.
In Gebieten wie Afghanistan ist die Bedrohung des eigenen Lebens ständig präsent. Wie halten Soldaten diesen Stress aus?
Zunächst muss die Truppe gezielt im Rahmen der Einsatzvorbereitung darauf vorbereitet werden. Und dann muss man vor Ort auch ein Umfeld schaffen, in dem der Soldat sich auch wieder entspannen kann - sei es nun durch Sport, Kino oder die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.
Was waren für Sie die bewegensten Momente, die Sie in Afghanistan erlebt haben?
Es gibt zwei Momente. Ich war bei dem furchtbaren Unfall dabei, als im März 2002 eine Rakete beim Delaborieren in der Nähe unseres afghanischen Lagers explodierte. Fünf Menschen starben damals, acht Schwerverletzte haben wir ausgeflogen - und sie sind alle durchkommen. Der zweite Moment war, als ich sah, dass die ersten afghanischen Mädchen nach zwanzig Jahren Krieg wieder zur Schule gehen konnten.
Die Deutschen genießen in Afghanistan eigentlich einen guten Ruf. Was macht sie nun zu Zielscheiben von Terrorattentaten?
Die Deutschen haben einen sehr guten Ruf in Afghanistan, vor allem dank der vielen Aufbauhelfer. Ich glaube auch nicht, dass sich das Attentat speziell gegen Deutsche richtet. Man kann unsere ISAF-Soldaten bei Einsätzen höchstens daran erkennen, dass auf den Autos eine deutsche Fahne montiert ist. Aber 99 Prozent der Bevölkerung weiß gar nicht, ob dies eine deutsche, eine italienische oder irgendeine andere Fahne ist. Das Attentat galt meines Erachtens der ISAF, nicht den Deutschen.
Deutsche Soldaten sind nicht nur an ISAF beteiligt sondern auch, unter amerikanischem Kommando, an der Operation "Enduring Freedom". Diese Spezialkräfte jagt Terroristen - und wären damit doch viel eher Zielscheiben.
Die Spezialkräfte arbeiten verdeckt, sie sind kaum zu erkennen. Deswegen kann man sie sehr schlecht angreifen. Ob deutsche Soldaten beteiligt sind, entzieht sich meiner Kenntnis.
Journalisten berichten, dass amerikanische Soldaten von Enduring Freedom mit Lautsprecher-Wagen durch Dörfer fahren und gezielt Muslime beleidigen, um vermeintliche Radikale aus den Häusern zu locken. Können Sie das bestätigen?
Solche Gerüchte gibt es. Aber ich kann sie nicht bestätigen.
Der getötete deutsche Soldat stand mit seinem Fahrzeug in der Nähe des Wahlbüros in Kabul, dann ist ein Sprengstoff beladenes Auto hinten aufgefahren. War es nicht leichtsinnig, den Soldaten so zu postieren - hätte er nicht in Bewegung bleiben müssen?
Manche Einsätze erfordern, dass ein Wagen still steht. Und im übrigen gibt es keine Nation, die ihre Soldaten besser schützt als die Deutschen. Die Fahrzeuge sind so gepanzert, dass sie Beschuss und Panzerminen aushalten. Aber gegen eine riesige Menge Sprengstoff ist kein Kraut gewachsen. Im übrigen kann ich den jüngsten Fall nicht beurteilen, da ich selbst nicht vor Ort war.
Die Lage in Afghanistan gilt als instabil und unsicher. Glauben Sie, dass sich dies mittelfristig ändern wird?
Für mich als kritischen Staatsbürger ist klar, dass es erst deutlich ruhiger in Afghanistan wird, wenn der Irak-Konflikt bewältigt wird.
Sie koordinierten die Einsätze der Sanitätstrupps in 2002 in Afghanistan. Gibt es Gebiete, die überhaupt nicht versorgt werden können?
Das sind vielleicht fünf bis zehn Prozent des Landes - nämlich die weithin unzugänglichen Bergregionen. Dahin werden auch keine deutschen Soldaten entsendet, weil diese dort nicht durch den Sanitätsdienst versorgt werden könnten. Aber das erwartet auch niemand. Wenn sie mit einheimischen Nomaden sprechen, werden Sie feststellen, dass sie sich auch selbst zu helfen wissen. Die Leute sind für erste nur dankbar, dass diese endlose Phase der Kriege aufgehört hat und nehmen die zivile als auch militärische Wiederaufbauarbeit gerne an.
Dürfen Sie eigentlich auch muslimische Frauen behandeln oder gilt das als Provokation?
Ich war 2002 in der Erdbebenregion bei Nahrin. Dort hatten wir Sanitätszelte aufgebaut. Und wenn man in das Zelt mit den Frauen und Kindern ging, um eine Frau zu behandeln, musste man den Stammesführer oder ihren Mann um Genehmigung fragen. Das haben wir auch gemacht. Die kulturellen Eigenheiten eines Landes sind zu respektieren Dann hat man auch keine Schwierigkeiten.
Wenn man von einem solchen Einsatz wieder zurückkommt - fällt es dann nicht schwer, sich wieder damit zu befassen, dass es hier alles im Überfluss gibt und Diäten zu meistdiskutierten Themen gehören?
Man muss die eigenen Wertigkeiten wieder umstellen. Die Bundeswehr hilft dabei mit speziellen Reintegrationsseminaren. Dabei lässt sich auch feststellen, ob jemand unter einer posttraumatischen Störung leidet.
Einige wenige Soldaten scheinen sich nicht mehr anpassen zu wollen und buchen einen Auslandseinsatz nach dem nächsten.
Das gib es, aber das ist sicher typusbedingt.
Ist Afghanistan eigentlich genauso minen- und bombenverseucht wie etwa Jugoslawien?
Das ist es. Und es wird noch Jahrzehnte dauern, bis diese Gefahrenquellen beseitigt sind.