Afghanistan Anschlagserie erschüttert Kabul

Von Christoph Reuter, Kabul
Die Detonationen waren in der halben Stadt zu hören: Mit Sturmgewehren und Granaten bewaffnet, haben mehrere Selbstmordattentäter versucht, mindestens zwei Regierungsgebäude in der afghanischen Hauptstadt Kabul zu stürmen. Mindestens 27 Menschen starben bei einer der schwersten Terror-Attacken der Taliban.

Am Mittwoch ist es zu einer der schwersten Taliban-Attacken auf Polizei- und Regierungsgebäuden in Kabul gekommen. Dabei haben die Attentäter eine neue Qualität des Schreckens erreicht: An vier Stellen gleichzeitig sprengten sich Selbstmordattentäter in die Luft oder versuchten schwerbewaffnete Kommandos, in Polizei- und in mehrere Ministeriumsgebäude einzudringen.

Nach offiziellen Angaben sind mindestens 27 Menschen - darunter alle acht Angreifer - bei den Anschlägen getötet und mehr als 50 verletzt worden. Ein Taliban-Sprecher bezeichnete die Aktion als Vergeltung für die Behandlung inhaftierter Gesinnungsgenossen und warf den Behörden Folter vor.

Neu ist auch, dass Selbstmordattentäter sich nicht bloß sprengen, sondern wild um sich schießend, so tief wie möglich in die Ministerien eindringen wollen. Während eine Gruppe vor dem Erziehungsministerium abgewehrt werden konnte, sind fünf Schwerbewaffnete am Vormittag ins Justizministerium nahe dem berühmten Serena-Hotel im Stadtzentrum Kabuls eingedrungen und haben sich den Weg freigeschossen.

Hieß er erst, alle seien erschossen worden, stellte sich bald heraus, dass sie es bis zum Mittag geschafft hatten, die anrückenden Polizeieinheiten am Eindringen ins Ministerium zu hindern. Einer der fünf sprengte sich in die Luft, die anderen vier wurden später im Kreuzfeuer erschossen. Acht Polizisten wurden verletzt, ebenso zwei Leibwächter des Justizminsters. Der Minister selbst konnte offenbar entkommen - er rettete sich durch ein Fenster ins Freie.

Die Taliban-Terroristen attackierten auch Zentralverwaltung der Gefängnisse in Kharkona. Dort seien, so der Leiter, zwei Attentäter auf das Tor zugestürmt, hätten die Wächter erschossen, wobei einer der Attentäter ums Leben gekommen sei. Der zweite rannte ins Gebäude, zielstrebig in den zweiten Stock und sprengte sich dort inmitten der Büros, wobei er sieben Menschen mit in den Tod riss.

Das Makabre an diesen Anschlägen ist, dass sie seit Tagen erwartet wurden. Es kursierten Warnungen, dass inbesondere Polizeieinrichtungen Ziel von Anschlägen seien würden. Einer der Gründe mutet geradezu paradox an: Vor über einer Woche hat der seit Herbst amtierende neue Innenminister Atmar die obersten Polizeigeneräle Kabuls ausgetauscht, da den Vorgängern Korruption und Unfähigkeit vorgeworfen wurden.

Doch die Befürchtung war - und scheint eingetreten zu sein - dass es zu einer ähnlichen Sicherheitslücke kommen würde wie im November, als nach der Absetzung des alten Innenministers eine Entführungswelle Kabul erschütterte. Die alten Amtsinhaber lassen nichts unversucht, ihre Nachfolger zu desavouiern. Der einfachste Weg: Straßensperren aufheben, Kontrollposten unbesetzt lassen und so den Taliban das Einsickern in die Stadt zu ermöglichen. Das scheint nun eingetreten zu sein.

Dass morgen der neue US-Sondergesandte Richard Holbrooke in Kabul erwartet wird, könnte ebenfalls den Zeitpunkt der Multi-Attacke beeinflusst haben. Ein Sprecher der Taliban übernahm bislang nur die Verantwortung für den Anschlag, ohne auf die Gründe der Zeitwahl einzugehen.