Der Name der Autorin ist stern.de bekannt. Um sie nicht zu gefährden, können wir ihn hier aber nicht nennen.
Es ist Freitag. Wir verbringen den Tag wie immer zu Hause, denn freitags gibt es häufig Demonstrationen und Explosionen. Am Frühstückstisch sind wir zu viert: meine Eltern, mein jüngerer Bruder und ich. Mein älterer Bruder ist noch immer in Hama, um die Menschen dort zu versorgen. Selbst wenn er nach Hause wollte, ginge es nicht. Die Straße nach Damaskus ist abgeriegelt.
Ich liege auf meinem Bett und lese ein Buch. Da kommt meine Mutter mit entsetztem Gesicht hereingestürmt. "Gib mir all deine Dokumente, Dein Geld, Deinen goldenen Schmuck. Die Amerikaner werden uns angreifen." Meine Mutter hat offenbar von Obamas Angriffsdrohung gehört. Ich gebe ihr alles und sehe ihr zu, wie sie unsere Fluchttaschen packt. "Ich werde sie neben die Tür stellen", sagt sie. "Wenn der Angriff beginnt, wirst du dir die Tasche schnappen und zum Schutzraum rennen."
Später am Tag erreichen mich Nachrichten von Syrern, die schon das Land verlassen haben. "Was wirst du tun?", fragt mich eine Freundin, die jetzt in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt. "Ich werde Angst haben", sage ich. "Und wenn sie tatsächlich angreifen?" "Dann werde ich noch mehr Angst haben."

Schreie in der Nacht
Danach denke ich zurück an die Nacht des 5. Mai, als israelische Kampflugzeuge Damaskus angegriffen haben: Damals wurde ich mitten in der Nacht von einem lauten Knall geweckt. Ich bin aus dem Bett gesprungen und zum Fenster gerannt. Ich sah nur ein großes helles Licht. Als uns dann ein paar Sekunden später die Schallwelle der Detonation erreichte, fing meine Mutter an zu schreien. Und sie war nicht allein: Vor unseren Haus ist ein Krankenhaus, in dem etwa 800 Flüchtlinge leben. Und auch diese Menschen fingen alle an zu schreien. Das war die schlimmste Nacht für uns. Ich versuchte, meine Mutter zu beruhigen. "Alles ist vorbei", sagte ich immer wieder zu ihr. Aber offenbar irrte ich mich. Mit dem amerikanischen Angriff könnte uns das Schlimmste noch bevorstehen.
Nach einem langen Arbeitstag nehme ich ein Bad bei Kerzenschein, der Strom ist mal wieder ausgefallen. Später, als wir wieder Elektrizität haben, gehe ich ins Internet. Früher war Facebeook ein Ort, an dem man eine Idee teilte oder einen "Gefällt mir"-Haken setzte. Heute ist das Netzwerk in Syrien zu einer virtuellen Kampfzone geworden, wo man Leute bekämpft und beschimpft. Als ich an diesem Abend Facebook öffne, springt mir wieder so ein Streit ins Gesicht. Ein Freund schreibt, er sei froh über den amerikanischen Angriff und könne es kaum erwarten. Ein anderer Freund antwortet: "Wenn die ersten US-Raketen dein Haus treffen, dann klettere doch aufs Dach und sag ihnen, dass du auf ihrer Seite bist. Vielleicht ändern sie ja dann die Richtung." Wieder ein anderer Freund postet Bilder aus dem Irak-Krieg: "Das wird mit uns passieren."
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Ich schalte den Computer aus und gehe zu meinen Eltern ins Wohnzimmer. Sie sitzen vor dem Fernseher. Auf allen Kanälen Kriegsexperten, politische Analysten, Militäroffiziere, sogar Schauspieler – jeder von ihnen glaubt zu wissen, was passieren wird und was wir tun sollen. Ich werde wütend und schreie meine Eltern an: "Warum schaut ihr euch das immer an? Andere, die über uns und unser Land entscheiden!"
Mein Vater schaltet den Fernseher aus. Er bringt mich raus auf den Balkon. "Beruhige dich, ein wenig frische Luft wird dir gut tun." Wir setzen uns, meine Mutter bringt Tee. So verbringen wir den restlichen Abend auf dem Balkon. Wir sehen die Lichtstreifen von Granaten und Raketen und versuchen zu erraten, wo die Geschosse einschlagen werden.
Besser Single als Soldatenfreundin
Abends verfolgen wir wieder einmal eine Rede von Obama im Fernsehen. Er kündigt an, vor einem Angriff die Zustimmung des Kongresses einholen zu wollen. Danach schauen wir uns fragend an. Heißt das nun: Angriff? Oder doch kein Angriff?
Ich rufe eine Freundin an. Ich habe kaum Hallo gesagt, da fängt sie plötzlich an: "Ich werde niemals heiraten können. Alle jungen Männer sind doch tot oder kämpfen oder haben das Land verlassen! Der Mann, der für mich bestimmt ist, der ist doch bestimmt schon tot!". Ich versuche sie aufzuheitern: "Single zu sein ist doch noch immer besser, als einen Soldaten zu haben, den man nur ein- oder zweimal im Monat sehen kann." Dann erst komme ich dazu, sie zu ihrer Meinung zu Obama zu fragen. "Ich bin verwirrt", sagt sie.
Später chatte ich mit einer Freundin, die das Land vor drei Jahren verlassen hat und jetzt in Europa lebt. "Was machst du noch immer im Land?", schreibt sie. "Wenn du die Krise von Beginn an erlebt hättest, würdest Du anders denken", schreibe ich zurück. "Es ist wie beim Frosch und dem kochenden Wasser. Wenn man einen Frosch ins Wasser steckt und dann das Wasser langsam erhitzt, bleibt er drin, bis er tot ist. Wenn man aber einen Frosch in schon heißes Wasser tut, wird er sofort rausspringen."
"Dann holt dich die al Kaida"
Es ist mein freier Tag, und ich beschließe, mit meiner Cousine shoppen zu gehen. Sie holt mich mit dem Auto ab. Auf dem Rücksitz sitzen ihre beiden Kinder. Das vierjährige Mädchen schreit ihren jüngeren Bruder an: "Wenn Du das noch einmal machst, dann kommt al Kaida Dich holen!" Wir sind geschockt. "Dabei versuche ich doch keine Nachrichten zu schauen, wenn sie dabei sind", sagt meine Cousine.
Wir setzten die Kinder bei der Großmutter ab und fahren weiter zum Souk. Wir erzählen uns Witze über den drohenden amerikanischen Angriff. Meiner geht so: "Obama schaut auf eine Karte Syriens und sagt: "Wir können nicht angreifen. Da ist kein Platz mehr für uns. Es wurde alles schon zerstört."
Im Souk ist wenig los. Nicht viele Leute kommen derzeit auf die Idee, Kleidung zu kaufen. Außerdem ist alles sehr teuer. Als meine Cousine im Lichtschein ihres Handys in der Umkleide ein T-Shirt anprobiert, erzählt mir der Händler, dass gestern am gesamten Tag nur vier Kunden in seinem Geschäft gewesen seien. Auch im Supermarkt ist wenig los. Ich bin überrascht. "Ich dachte, die Leute würden jetzt Sachen hamstern", sage ich. "Ach was", sagt meine Cousine und lacht: "Unsere Leute sind doch Angriffe gewohnt. Ein paar US-Bomben ändern da keine Gewohnheiten mehr."
Auf dem Rückweg sagt meine Cousine zu mir: "Weißt du, ich war im achten Monat schwanger, als diese Krise begann. Jetzt ist mein Sohn schon über zwei Jahre alt. Ich frage mich, welche Zukunft auf ihn wartet. Manchmal bedauere ich sogar, in diesen Zeiten Kinder geboren zu haben."