Andreas Albes Permanenter Nerventerror

Nun ist auch der letzte deutsche Friedensaktivist, der Bagdad als menschliches Schutzschild, als "human shield", schützen wollte, aus dem Irak ausgereist. Nicht freiwillig. Jürgen Hahnel wurde ausgewiesen.

Seit Freitag ist auch der letzte deutsche Friedensaktivist, der Bagdad als menschliches Schutzschild, als "human shield", schützen wollte, aus dem Irak ausgereist. Nicht freiwillig. Jürgen Hahnel, knapp eins siebzig, Schwabe, Lebenskünstler und einer, der nie seine Klappe hält, wurde ausgewiesen. Er sei ein Sicherheitsrisiko für den Irak, lautete die knappe Begründung.

Fünf Wochen verbrachte er in Bagdad, die meiste Zeit auf dem Gelände der Daura Ölraffinerie in einem Aluminium-Container, den er zum Schluss alleine bewohnte. Um die Raffinerie herum die Geschütze der irakischen Luftabwehr; gegenüber, auf der anderen Seite des Tigris, die schmucken sandfarbenen Villen hochrangiger Regierungsmitglieder.

Nie länger als eine Stunde durchgeschlafen

Hahnels Gesicht ist von dunklen Augenrändern gezeichnet. Seit Beginn der Bombenangriffe hat er nie länger als eine Stunde durchgeschlafen. Und wenn, nur tagsüber. Die Angriffe verfolgten ihn bis in seine Träume: das Geräusch der Marschflugkörper, eine Mischung aus dem Zischen eines Düsenjets und dem dumpfen Brummen eines Propellers; das Hämmern der irakischen Geschütze. Die Angst vor dem Krieg beschreibt Hahnel als permanenten Nerventerror. "Die Sinne sind total gespannt. Schlägt irgendwo eine Tür, denkst du an eine Bombe, siehst du einen Vogel, denkst du an ein Flugzeug. Das Ungewisse macht dich wahnsinnig."

Noch 60 Aktivisten in Bagdad

Gut 60 Friedensaktivisten dürften noch in Bagdad sein. Alle unversehrt. Sie harren vor Wasser-Aufbereitungsanlagen, Elektrizitätswerken und Getreidespeichern aus. Doch ihr Unmut wächst. Ständig Streit über Sinn und Unsinn der Aktion. Die Angst, von Saddams Regime nur missbraucht zu werden. Jürgen Hahnel war nicht der erste von ihnen, der ausgewiesen wurde. Und dann: Was ist, wenn in Bagdads Straßen Häuserkampf geführt wird? Besorgt registrieren die Friedensaktivisten, wie ihre Hotels am Ufer des Tigris mit jedem Tag von mehr Milizionären eingekreist werden.

Wenn Scherben zu Geschossen werden

"Unsere Friedensmission ist gescheitert", sagt Reinhold Waßmann, Ingenieur der Technischen Universität Berlin, enttäuscht. Seine Entscheidung, Bagdad zu verlassen, fiel am Mittwoch. Er verbrachte die Bombennächte in Alfana-Hotel mit Blick auf den Präsidentenpalast, der inzwischen ein Haufen Trümmer ist. Die Fensterscheiben in seinem Zimmer hatte er mit Klebeband gesichert, damit, sollten sie zerbersten, die Scherben nicht zu Geschossen werden. Manchmal waren die Druckwellen der Explosionen so stark, dass sie Waßmann wie einen Schlag gegen die Brust trafen und ihm für einen Moment der Atem stockte. Dazu das Brennen in den Lungen, wenn der Wind ungünstig stand und den Qualm der brennenden Ölgräben rund um die Stadt ins Zentrum wehte.

Das Schlimmste aber war die Fahrt von Bagdad nach Amman. Zehn Stunden Autobahn durch die Wüste. Der Ford Kombi, den er sich mit drei türkische Journalisten teilte, stank nach den Spritkanistern im Laderaum. Die Tankstellen auf der Strecke waren fast alle gesprengt. Unterwegs kaum 20 andere Fahrzeuge; einmal hielt ein alter klappriger Lkw am Straßenrand. Flüchtlinge kletterten von der Ladefläche, um ihre Notdurft zu verrichten.

Zerstörte Fahrzeuge, keine Leichen

Bombenkrater zwangen immer wieder zu Umwegen. 50 Kilometer hinter Bagdad der erste ausgebrannte Bus auf der Gegenfahrbahn. Nach 100 Kilometern der nächste. Er lag, in zwei Teile zerrissen, unter einer gesprengten Brücke. Insgesamt zählte Waßmann drei zerstörte Busse, zwei Sattelschlepper und drei Chevrolet-Vans, das gängige Transportmittel zwischen Bagdad und Amman. Wenn er die Einschusslöcher in den Türen sah, zog sich jedes Mal sein Magen zusammen. Leichen waren nirgends zu sehen. Nur schwarze Tücher hingen zum Zeichen der Trauer an den Skeletten aus verbeultem und zerrissenem Blech.

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Andreas Albes