"Ich sah abgetrennte Gliedmaßen, ein kleines Mädchen ohne Kopf, überall Blut und schreiende Menschen." Es sind Bilder, die der Schiiten-Milizionär Hussein Hamid nicht mehr vergessen wird. Nach dem furchtbaren Anschlag auf den schiitischen Schrein im Bagdader Schiitenviertel Kadhimija herrschen dort Schock, Trauer und Entsetzen. "Es war ein Blutbad", erinnert sich Hamid, der mit viel Glück unverletzt davonkam.
Ein paar Stunden nach dem Anschlag suchen die Wächter des Heiligtums nach Ausweisen und Eheringen, um Anhaltspunkte zur Identifizierung der vom explodierenden Sprengstoff zerrissenen Menschen zu gewinnen.
Panik unter den Massen
"Der erste Attentäter jagte sich am Eingangstor (des Gebäudes) in die Luft", erklärt Hamid. Eingetrocknete Blutlachen auf dem Steinfußboden des Vorhofes künden beim Tor von der mörderischen Wirkung der Sprengladung. "Der zweite zündete seine Ladung drinnen, bei der Schuhablage am Eingang zum Schrein", erläutert der Hilfspolizist weiter. In Panik seien die Massen nach der Detonation zum Haupttor gerannt, vor dem sich dann der dritte Attentäter in die Luft sprengte. "Das geschah alles innerhalb einer Minute", fügt Hamid hinzu. Allein 75 Menschen starben bis zum Nachmittag in Bagdad nach Krankenhausangaben, Hunderte weitere wurden verletzt.
Die Aktion war abgestimmt mit einer weiteren Anschlagsserie im mittelirakischen Kerbela, dem eigentlichen Zentrum der Aschura- Feierlichkeiten, zu denen Hunderttausende Pilger geströmt waren. Durch die Explosionen wurden dort mindestens 70 Menschen getötet und über 100 andere verletzt.
Große Menschenansammlungen im Visier
Die Blutbäder folgten der Strategie jener islamistischen Extremisten, die nach dem Krieg in den Irak eingesickert waren und mit Vorliebe große Menschenansammlungen ins Visier nehmen. So starben im nordirakischen Erbil 117 Menschen beim islamischen Opferfest vor vier Wochen, als sich Hunderte zu Feierstunden in den Hauptquartieren der beiden großen Kurden-Parteien eingefunden hatten.
In Kadhimija fragen sich viele, wie es den Selbstmordattentätern gelingen konnte, sich mit Sprengstoffgürteln und Handgranaten unter die Menge der Gläubigen zu mischen. "Das US-Militär und die irakische Polizei hielten die lokalen Milizen davon ab, ihren Job zu tun", moniert ein Offizier der schiitischen Badr-Brigade. "Sie bestanden darauf, die Verantwortung für die Sicherheit zu übernehmen."
Es gab Sicherheitspannen
Ob sich die Sicherheitspannen auf Kompetenzstreitigkeiten zurückführen lassen, mag dahin gestellt sein. Freiwillige Ordner der Schiiten-Organisationen durchsuchten an den Zugängen die Besucher nach Waffen. Sie taten es recht oberflächlich, wie es ein dpa-Korrespondent am Abend zuvor selbst erlebt hatte.
Hinzu kommt, dass das Aschura-Fest die ganze Nacht währte und in der Morgendämmerung seinen Höhepunkt erreichte: Hunderte Männer ritzten sich nach stundenlangem Beten, Tanzen und Singen mit Schwertern die Stirn, um auf diese Weise das Martyrium des schiitischen Imams Hussein vor 1300 Jahren für sich nachzuvollziehen. Die Bomben explodierten kurz nach zehn Uhr vormittag. Da drängten sich immer noch Menschenmassen am Schrein zusammen, doch alle - und wohl auch die Ordner - waren müde und erschöpft.
Schiiten sollen gegen Sunniten aufgebracht werden
Der Terror zielte offensichtlich darauf ab, die Schiiten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen und unter demokratischen Verhältnissen im Irak mehr oder weniger den Ton angeben werden, gegen die Sunniten aufzubringen. Doch die Menschen in Kadhimija können unterscheiden. "Das waren Wahabiten", sagt der Devotionalienhändler Mohammed Dschassim Kadem. Er meint jene fanatische sunnitische Sekte, die in Saudi-Arabien den Ton angibt und das Terrornetzwerk El Kaida ideologisch inspiriert. "Sie wollen das irakische Volk auseinander dividieren", pflichtet ihm sein Kompagnon Safir Fadhil Abbas bei. "Das wird ihnen - so Gott will - nicht gelingen, wenn wir vernünftig und standhaft bleiben."