Tag der nationalen Trauer in Frankreich "Tot - weil sie mutiger waren als wir"

  • von Tilman Müller
  • und Kuno Kruse
Der Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" hat Frankreich erschüttert. Die Franzosen begegnen dem Terror mit mehr Demokratie - mit "Je suis Charlie"-Bekundungen und Bleistiften.

Ich bin Charlie! Du bist Charlie! Wir alle sind Charlie Hebdo! Das ist die Parole der Stunde und die Parole der ganzen Nation.

Zehntausende Pariser, die meisten jung, Studenten, Schüler, tragen ihre Solidaritätsbekundungen auf Papier und Pappe, auf kleinen Zetteln und großen Transparenten wenige Stunden nach dem Attentat auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" zum Place de la Republique. Bis tief in die Nacht verharren jungen Frauen und Männer um das zentrale Monument, das bereits mit Hunderten Zetteln und Fotos der Ermordeten behängt ist. "Die Idee der Freiheit kann man nicht töten" steht auf einem. Auf einem anderen: "Die Republik steht gegen den Fanatismus."

Franzosen halten Bleistifte in die Höhe

Einige junge Männer haben ihre Oberkörper entblößt. Einer spielt auf dem Saxofon die Marseillaise. Einige skandieren: "Dem Terror mit mehr Demokratie begegnen." Es sind die Bürgerlichen und die politische Linke, die hier zusammenströmen. Auch in anderen Städten Frankreichs sind in diesen Stunden überall Menschen auf den Straßen. Zehntausende sind es in Lyon, in Rennes, Toulouse und Marseille, insgesamt weit mehr als 100.000 in der gesamten Republik. Viele halten Bleistifte in die Höhe, als Symbol für die landesweit geliebten Karikaturisten.

"Tot, weil sie mutiger waren als wir", steht auf einem der vielen Pariser Plakate. Gemeint sind die acht Zeichner und Texter der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo", zwei Polizisten, ein Besucher und eine Person an der Rezeption, die eine Viertelstunde zu Fuß von diesem Platz entfernt wenige Stunden zuvor ermordet worden waren.

Die Straßen um den Tatort sind weiträumig abgesperrt. Aber auch dort und in den umliegenden Straßen sind Kerzen angezündet, liegen Blumen auf dem Trottoir, eine Orchidee, daneben eine kleine Trikolore. Menschen stehen zusammen, fassungslos, schweigend.

Um neun Uhr abends kommt Innenminister Bernard Cazeneuve, begleitet von Journalisten, noch einmal an den Tatort, um die Presse über den Fortgang der Ermittlungen zu informieren. Das Fernsehen sendet in diesem Moment schon live aus der Banlieue von Reims und zeigt, wie eine Sonderheit der Polizei auf der Suche nach den Tätern Gebäude stürmt.

Der 11. September der Zeichner

Am Morgen berichten alle Tageszeitungen mit bis zu 20 Sonderseiten in großer Aufmachung über das Attentat, die Täter und die Opfer. In mehreren Blättern ist eine Karikatur von zwei Bleistiften, die in den Himmel ragen wie einst die Twin-Towers von New York. Aus beiden Bleistiften dringt dunkler Rauch. Darunter die Zeile: der 11. September der Zeichner.

In vielen Gesprächen in den Bars und Cafés kommt dieser 11. September-Vergleich. Frankreich ist unter Schock, dies ist eine nationale Katastrophe. "Charlie Hebdo" steht für Freiheit, Laizismus und unbeugsamen Humor. Politiker beschwören die nationale Einheit, die gerade streikenden Chirurgen haben ihren Ausstand abgebrochen. Alle wollen gemeinsam im Moment der plötzlich offenbar gewordenen inneren Bedrohung zusammenstehen.

Der Tag danach, ein trüber Donnerstagmorgen, beginnt als Tag der nationalen Trauer und neuer Angst. Am Vormittag meldet die französische Polizei, dass eine ihrer Beamtinnen, die bei einem Unfall helfen wollte, von hinten von einem 52-Jährigen in einem Vorort im Süden von Paris erschossen wurde.

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos