Anschlagsopfer aus Boston Krystle Campbells Herz aus Gold

Alle liebten Krystle. Die 29-jährige Restaurant-Managerin, Todesopfer der Bomben in Boston, war laut, pflegte ihre kranke Oma und bezauberte Freunde und Kollegen mit ihrem Lächeln.

Zwölf Stunden lang war für William Campbell jr. alles gut. Das heißt: gut vielleicht nicht. Schließlich lag seine Tochter schwer verletzt im Krankenhaus. Die Kochtopfbombe hatte sie mit voller Wucht getroffen, sie musste notoperiert werden. Aber immerhin: Sie lebt. Dachte William. Bis er die junge Frau sah, die auf dem Bett an ihm vorbeigerollt wurde. "Das ist nicht Krystle! Wo ist meine Tochter?", entfuhr es ihm. Die, die er da erblickte, war Karen Rand - eine Kollegin und Freundin. Sie hatte nur Krystles Ausweis bei sich.

Das Schlimmste hatte Vater William in diesem Moment aber noch vor sich: Er musste seine Tochter identifizieren, auf einem Foto, das ihm ein Polizist zeigte. "Ich wurde beinahe ohnmächtig", sagte der 56-Jährige anschließend der "Daily News". Seine Tochter, Krystle Campbell, 29, aus Medford bei Boston - aus dem Leben gerissen von einer selbstgebauten Bombe, die am Zieleinlauf des Bostoner Marathons detonierte. "Sie war die beste Person, die man sich vorstellen kann", sagte der geschockte Campbell. "Wir sind am Boden zerstört."

"Sie hatte ein Herz aus Gold"

Wie seit vielen Jahren stand Krystle an diesem verhängnisvollen Montag am Ende der Strecke. Dieses Jahr war sie zusammen mit ihrer Freundin Karen Rand da, um Karens Freund, der die 42,195 Kilometer mitgelaufen war, anzufeuern. Um 14.50 Uhr dann zerstörte der Küchensprengsatz ihr beider Leben und das von mehr als 170 weiteren Besuchern und Läufern. "Sie hatte ein Herz aus Gold und immer ein Lächeln auf den Lippen", sagt Mutter Patty.

Krystle Campbell hatte gerade erst ihren alten Job als Managerin einer kleinen Fischrestaurant-Kette aufgegeben, um demnächst in einem Steakhaus anzufangen. Ihr Ex-Arbeitgeber hat eine Widmung auf seiner Website hinterlassen. Dort heißt es: "Es gibt keine Worte, die beschreiben können, wie viel sie uns bedeutet hat. Sie war eine unglaubliche Frau, die niemals müde wurde, uns ein Lächeln zu schenken."

Krystle zog zwei Jahre zu ihrer kranken Oma

Ihre Großmutter, der Krystle offenbar sehr nahe gestanden hat, berichtet von ihrer Enkelin als einem Menschen, der immer für andere da gewesen sei. "Nach meiner Operation ist sie spontan zu mir gezogen und hat sich zwei Jahre um mich gekümmert", sagte Lillian Campbell dem "Boston Globe".

Aufopferungsvoll wird sie auch von ihren Kameraden des Jugend-Football-Teams beschrieben: "Sie war wunderschön. Sie war laut. Und jeder liebte sie dafür", heißt es auf der Facebook-Seite "R.I.P. Krystle Campbell". Sie wurde erst am Dienstag eingerichtet und hat bereits mehr als 57.000 Likes. Am Donnerstag werden weitere Tausende Menschen von ihr Abschied nehmen. Und den anderen Opfern des Anschlags von Boston. Zu dem offiziellen Gedenkgottesdienst hat sich auch US-Präsident Barack Obama angekündigt.

Niels Kruse

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Als Martin seinen Vater umarmte, erwischte ihn kurz darauf die Bombe. Der Achtjährige ist das jüngste Opfer des Bostoner Anschlags. Ein Foto des Jungen wird nun zum Symbolbild der Katastrophe.

Martin Richard - das jüngste Opfer

Der Nobel-Stadtteil Dorchester im Süden von Boston ist eigentlich ein Ort der Idylle. Dort, wo große Häuser in grünen Vorgärten thronen, wo Kinder mit Kreide auf der Straße malen, flattert nun schwarz-gelbes Polizeiabsperrband im Wind. Seit Dienstag ist das dunkelblaue Haus mit weißen Fensterrahmen auf der Carruth Street weiträumig von der Öffentlichkeit abgeriegelt. Es ist das Haus von Familie Richard, die beim Bostoner Anschlag gleich drei Tragödien zu verzeichnen hat.

Am Montag reiste die fünfköpfige Familie zur Doylston Street, um den Marathon an der Ziellinie zu verfolgen. Anders als zuvor berichtet, nahm der 42-jährige Vater Bill Richard nicht am Marathon teil, wie ein Familiensprecher berichtet. Die Eltern und ihre drei Kinder mischten sich unter die mehr als eine halbe Million Menschen am Zieleinlauf. Sie alle wollten die Läufer bejubeln, nirgendwo auf der 42,195 Kilometer langen Strecke war die Stimmung so ausgelassen.

Nach knapp vier Stunden, 17.000 von 23.000 Läufern hatten die Ziellinie bereits überschritten, ging der achtjährige Martin zu seinem Vater Bill, um ihn zu umarmen. Anschließend ging Bill weiter zu den anderen Sportlern, Martin kehrte um und lief zurück zu seiner Mutter am Straßenrand. Nach wenigen Metern endete die Familienidylle, der Achtjährige wurde von der Bombe erfasst. Seine Mutter wurde schwer verletzt, seiner sechsjährigen Schwester musste ein Bein amputiert werden.

Martin wollte nur Frieden

Die Welt trauert um Martin, das jüngste Opfer des Bombenanschlags. "Wir kämpfen mit unserer Trauer", ließ Familienvater Bill Richard in einer Mitteilung per E-Mail verbreiten. Dazu gab er ein Foto seines Sohnes Martin heraus. Es zeigt einen kleinen Jungen mit großen braunen Augen. Er hat das Trikot des örtlichen Eishockey-Vereins Boston Bruins an, mit seinen kindlich hervorstehenden Schneidezähnen grinst er unter einer Kappe hervor.

Auf Facebook kursiert nun ein weiteres Bild des Jungen, das seine ehemalige Grundschullehrerin Lucia Brawley eingestellt hat: Es zeigt Martin fröhlich lachend in seinem Klassenzimmer, wie er ein blaues Schild hält. Darauf steht "No more hurting people. Peace", was so viel bedeutet wie "Es sollen nie wieder Menschen verletzt werden. Frieden". Das Wort "Frieden" ist umgeben von Herzen, darunter hat Martin mit blauem Filzstift das Friedenssymbol gemalt. Zaghaft lächelt er in die Kamera, die Buntstifte liegen noch auf dem Tisch vor ihm.

"Er war so lieb"

Sportbegeistert und stets gut gelaunt, so erinnern sich Freunde an den Achtjährigen. "Nach der Schule haben wir Fußball gespielt. Und in der Schule haben wir uns immer in der Mittagspause gesehen", sagt Andres Caldron, einer seiner Mitschüler. Er war so lieb - wenn es heiß war und er ein Eis hatte, hat er es immer mit uns geteilt." Auch seinen Humor schätzten Klassenkameraden und Freunde sehr. Martin habe in jeder Situation einen Witz reißen können, erinnert sich sein Freund Alejandro. Einmal hat er sein Butterbrot fallen lassen und mit dem Fuß wieder aufgefangen. Dann hatte es ganz viele schwarze Flecken. Wir haben mit ihm gewettet, dass er es nicht mehr isst - aber er hat es doch gegessen, und wir haben alle gelacht."

Letzte Nacht brannte eine Kerze auf der einsamen Straße vor dem Haus der Richards, wie die australische Zeitung "The Age" schreibt. Nur ein Wort haben Nachbarn mit Kreide auf den Asphalt geschrieben: "Frieden". Es ist die Botschaft, die Martin sich wohl am meisten gewünscht hätte.

Der Autor Christoph Fröhlich auf Google+

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Lu Lingzi - das dritte Todesopfer. Eine 23-jährige Chinesin erfüllt sich ihren Traum und studiert in den USA

Lu Lingzi - das dritte Opfer

Ihre Familie bittet darum, sie nicht weiter zu behelligen. So lässt es die chinesische Vertretung in New York ausrichten. Trotz dieser verständlichen Informationssperre sind einige Details über das dritte Todesopfer des Anschlags bekanntgeworden. In der Zeitung "Shenyang Evening News" bestätigt der Vater den Tod seiner Tochter Lu Lingzi. Lingzi ist 23 Jahre alt und stammt aus der Viereinhalb-Millionen-Stadt Shenyang im Nordosten Chinas. Sie studierte in Boston Mathematik. Die Universität bestätigt, dass eine ihrer Studentinnen bei dem Bombenanschlag ums Leben gekommen ist, nennt aber keinen Namen.

Ein Freund der jungen Frau sagte der britischen "Daily Mail", dass sie mit zwei Freundinnen zum Marathon gegangen sei. Am Abend, die Katastrophe beherrschte längst die Nachrichten weltweit, sei sie immer noch nicht zu Hause gewesen, erzählte Li Luquan dem Blatt. "Am Montagabend haben wir dann der Polizei Bescheid gesagt und im Konsulat angerufen." Die beiden hatten zwei Jahre lang zusammengewohnt und waren beste Freunde.

Lingzi hatte von 2008 bis 2012 Wirtschaft in Peking studiert. Dort schloss sie mit dem Bachelor ab und ging im vergangenen August in die USA, um ihren Master zu machen. "Es war immer ihr Traum, in den USA zu studieren", sagte die Freundin. Für die Zukunft habe sie geplant, bei einer internationalen Firma zu arbeiten. Bereits in Peking absolvierte sie mehrere Praktika unter anderem bei der Bank of China und dem Beratungsunternehmen Deloitte.

Niels Kruse

mit Agenturen