Arabische Welt "Wo war Saddams letzte Kugel?"

Viele Araber hatten in dem Despoten von Bagdad den letzten arabischen Helden gesehen. Und so war ihnen überhaupt nicht nach Feiern zumute, sondern fühlten sich gedemütigt, als die ersten TV-Bilder des zerzausten Saddam Hussein um die Welt gingen.

Als die ersten Fernsehbilder des zerzausten Saddam Hussein um die Welt gingen, führten Iraker, die unter seinem Regime gelitten hatten, Freudentänze auf. Doch vielen ihrer arabischen Brüder war überhaupt nicht nach Feiern zumute. "Ich persönlich fühle mich als Araber und Muslim gedemütigt", sagte Abdelbari Atwan. Der Chefredakteur der Zeitung "Al-Quds Al-Arabi" antwortete so einer TV- Moderatorin auf die Frage, was er denn gefühlt habe, als er den verwahrlost aussehenden Ex-Präsidenten in US-Gefangenschaft gesehen habe - jenen Mann, der sich einst stolz mit dicken Zigarren auf goldenen Stühlen präsentiert habe.

Wie Atwan geht es vielen Arabern, die in dem Despoten von Bagdad den letzten arabischen Helden gesehen hatten. Sie bewunderten ihn, weil er im Golfkrieg 1991 Raketen auf Israel abgeschossen hatte und die US-Regierung in großspurigen Reden beschimpfte. Dass Saddam Hussein sein eigenes Volk foltern und bespitzeln ließ und zwei blutige Kriege anzettelte, blenden sie dabei gerne aus. "Er war in dieser Beziehung nicht schlimmer als andere arabische Führer auch", ist ein oft gehörtes Argument, das Iraker empört, die Verwandte in Folterkammern des Regimes verloren haben.

"Gut für Iraker, schlecht für Araber"

Diese Empörung kann Taxifahrer Abdullah aus Kairo gut verstehen, der vor dem Golfkrieg von 1991 zehn Jahre in Bagdad gearbeitet hatte. "Für die Iraker ist es gut, dass Saddam geschnappt wurde, aber für die Araber ist es schlecht", meint er. "Es gibt viele Leute hier in Ägypten, die glauben, dass alles nur ein Trick der Amerikaner war, und dass es gar nicht Saddam war, den sie gefangen haben", sagt Abdullah. Er selbst sei sich jedoch sicher, da er Saddam zehn Jahre lang jeden Abend im irakischen Fernsehen gesehen habe: "Er ist es wirklich."

Vor allem in Jordanien, wo Saddam wegen seiner verbalen und finanziellen Unterstützung für die Palästinenser bei vielen Menschen beliebt war, scheint Katerstimmung zu herrschen. "Der Tag der Festnahme Saddam Husseins war ein schwarzer Tag in der modernen arabischen Geschichte wie der Tag des Falls von Bagdad. Wenn Saddam an die Macht zurückgekehrt wäre, hätte es im Irak noch viel größere Demonstrationen der Freude gegeben", schrieb Kommentator Fahd el Fanik in der regierungsnahen jordanischen Zeitung "Al-Rai". Die Festnahme Saddams sei ein "beleidigender Angriff auf die arabische nationale Ehre", der nicht folgenlos bleiben werde.

Wut und Frustration

Auch in arabischen TV-Sendungen machten Zuschauer am Sonntagabend ihrer Wut und Frustration über das schmähliche Ende der Saddam-Ära Luft. Selbst Anrufer aus den Golfstaaten, für die der Despot seit der Kuwait-Invasion ein Feind war, bezeichneten es als Schande, dass ein ehemaliger arabischer Staatschef von den Amerikanern ohne jede Gegenwehr gefangen genommen werden könne.

Wenig Verständnis für Saddam zeigt auch die überregionale arabische Zeitung "Al-Hayat" am Montag. Sie fragt: "Wo war die letzte Kugel, von der er sagte, dass er sie für sich selbst aufheben wolle?"

DPA
Anne-Beatrice Clasmann