Trifon Jarumow sammelt Kippen von der Straße und raucht sie auf, weil er sich keine neue Schachtel leisten kann. Der gepflegt erscheinende 52-Jährige tut sich seit zwölf Jahren schwer, eine feste Arbeit zu finden, und gehört zu den Millionen Bulgaren, die unter der Armutsgrenze leben. Mit einem Pro-Kopf-Inlandsprodukt von gerade mal einem Drittel des EU-Durchschnitts wird das osteuropäische Land das ärmste Mitglied der Union, wenn es mit dem Beitritt wie geplant zum 1. Januar klappt.
"Manchmal verdiene ich bis zu 250 Lew (knapp 130 Euro) im Monat. Das ist viel Geld für mich", sagt Jarumow und sitzt auf einer Parkbank in Sofia. "Aber im Winter ist es beängstigend. Manchmal finde ich monatelang keine Arbeit."
Die EU-Kommission wird am Dienstag ihre Entscheidung bekannt geben, ob sie den für 2007 geplanten Beitritt von Bulgarien und Rumänien unterstützt und damit keinen Gebrauch von der Möglichkeit macht, die Aufnahme wegen langsamer Reformen der Kandidaten nochmals um ein Jahr aufzuschieben. Das arme Paar vom Schwarzen Meer dürfte aber mit der Mitgliedschaft vor beispiellose Probleme gestellt werden, sagen Experten. Der Druck zu weiteren Wirtschaftsreformen und Einschnitten ins Sozialsystem werde dadurch nur noch größer.
Öffentliche Zuwendungen als Einkommen
Seit 2001 sind die Einkommen in Bulgarien zwar um mehr als 40 Prozent gestiegen. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt aber, dass fast die Hälfte der 7,8 Millionen Bulgaren weniger als zwei Euro am Tag zur Verfügung hat. Die Kaufkraft ist geringer als vor dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989. Umgerechnet auf jeden Mann, jede Frau und jedes Kind im Land kommt das Statistikamt auf ein Durchschnittseinkommen von 204 Lew. Dabei besteht das Einkommen der Ärmsten der Armen zur Hälfte aus öffentlichen Zuwendungen, die bei der anstehenden Reform des Renten- und Bildungssystems noch einmal sinken dürften.
"Ich gehe davon aus, dass Bulgarien für lange Zeit hinterherhinken und von der Europäischen Union abhängig sein wird", sagt Ides Nicaise, Professor an der Universität von Leuven in Belgien. "Es wird ein Mitglied sein, das immer um Hilfe und Unterstützung bittet."
Pferdefuhrwerke und Plumpsklos
Die Armut ist am größten auf dem Land. Hier sind fast so viele Pferdefuhrwerke wie Autos unterwegs und einer europäischen Studie zum Lebensstandard aus dem Jahr 2003 zufolge hat die Hälfte aller Häuser kein WC.
Umfragen zufolge sind 65 Prozent der Bulgaren für den EU-Beitritt. Viele betrachten ausländische Investitionen und neue Arbeitsstellen als den besten Weg, den allgemeinen Lebensstandard zu heben. Doch trotz der elf Milliarden Euros, die in europäischen Entwicklungsfonds bereitstehen, wird es den Experten zufolge noch Jahrzehnte dauern, bis Bulgarien den Anschluss an den Rest der EU schafft. Gergana Noutcheva vom Zentrum für Europäische Studien in Brüssel sagt: "Die Prognosen sind nicht sehr rosig. Es wird nicht mehr zu unseren Lebzeiten geschehen."
So stöbern jeden Morgen viele Männer und Frauen wie Jarumow durch die Mülltonnen im Zentrum der Hauptstadt und suchen nach Resten, die noch verwendbar sind. Jarumow hat vor zwölf Jahren seinen letzte feste Arbeit in einer Fabrik verloren. "Damals hatte ich noch Freunde", sagt er. "Jetzt halten sich die Freunde, die Arbeit haben, von mir fern, weil sie Angst haben, ich würde sie um Geld bitten. Das Leben ist grausam."