Erbil "Wir dachten, niemand könnte so etwas machen"

65 Menschen starben in Erbil bei Anschlägen während des islamischen Opferfestes. "Jeden Tag haben wir jeden Einzelnen durchsucht, der hinein wollte. Nur Sonntag nicht", erzählen Angehörige der kurdischen Parteien.

Selbst am Tag danach gleicht der Theatersaal im Haus der Organisation Nr. 3 der Patriotischen Union Kurdistans in Erbil noch einem Schlachthaus. Die Explosion hat die Rückwand völlig weggerissen, die Seitenwände teilweise. An den verbliebenen Mauern klebt Blut, den Boden bedecken Trümmer, zerborstenes Mobiliar und Leichenteile. Verursacher dieses verheerenden Blutbades war ein Selbstmordattentäter, der sich am Sonntag inmitten einer Feier zum islamischen Opferfest in die Luft gesprengt hatte.

Fast zur gleichen Zeit wurde ein zweiter Attentäter im Hauptquartier der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) zur "menschlichen Bombe". 65 Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt. Der Ablauf, wie ihn die immer noch fassungslosen PUK-Mitarbeiter am Montag gegenüber Reportern darstellen, war an beiden Unglücksorten der selbe. Die lokalen Führungen der beiden Parteien hatten Mitglieder, Anhänger und Interessenten empfangen, um ihre Glückwünsche zum Opferfest entgegenzunehmen. In beiden Parteihäusern hatte sich eine große Schar von Gratulanten eingefunden.

Als Geistliche verkleidet unter die Feiernden gemischt

Die Attentäter hatten sich - als Imame verkleidet - jeweils unter die Festgemeinde gemischt. Unter den wallenden Gewändern islamischer Geistlicher verbargen sie jeweils 30 Kilogramm Sprengstoff. Als sie an der Reihe waren, dem ranghöchsten Politiker die Hand zu drücken, brachten sie ihre Todesgürtel zur Explosion. Im KDP-Haus starben der Provinzgouverneur von Erbil, Akram Mintik, ein Vize-Gouverneur, ein Vize-Premier und der örtliche Polizeichef, bei der PUK der Chef der Erbiler Parteiorganisation.

Der KDP-Angestellte Adib Abdelrahman Dschamil liegt mit Verbrennungen im Gesicht und Splitterverletzungen am Bein im Notfallkrankenhaus für Kriegsopfer. Die Klinik wurde im vergangenen Sommer von der italienischen Hilfsorganisation 'Emergency' modernisiert und erweitert. "Jeden Tag haben wir jeden Einzelnen durchsucht, der hinein wollte", erzählt Dschamil. "Nur am Sonntag nicht. Wir dachten, das wäre eine Herabwürdigung des Opferfestes."

"Ein Fest der Versöhnung"

Ähnlich sehen es auch die PUK-Bediensteten. Beim Opferfest gedenken die Muslime Abrahams, der am Ende auf Geheiß des Herren nicht seinen Sohn, sondern ein Lamm opferte - eine Geschichte, die auch das Alte Testament kennt. "Für uns ist es ein Fest der Versöhnung", meint ein PUK-Angestellter. "Wir dachten, niemand könnte an diesem Tag so etwas machen."

Doch genau das ist die Strategie des neuen islamistischen Terrors: zuzuschlagen, wo es niemand erwartet oder wo es die Pietät verbieten würde. In Erbil zweifelt deshalb auch niemand, wer hinter diesen Anschlägen steckt. "El Kaida oder Ansar el Islam", meint knapp der Fotohändler Abdullah Mohammed Abdullah, der vor dem 'Emergency'-Krankenhaus darauf wartet, seine drei verletzten Verwandten besuchen zu können. Ansar el Islam ist eine kurdisch-irakische Untergrundorganisation mit Verbindungen zum Terrornetzwerk El Kaida. "Sie wollen den Frieden in unserer Region stören und ein Mullah-Regime nach iranischem Vorbild etablieren", sagt Abdullah.

Es geht um die Stellung der Kurden-Provinzen im Irak

Die drei kurdischen Nordprovinzen des Iraks - Erbil, Dohuk und Suleimanija - genießen seit 1991 unter US-Schutz eine Art Eigenstaatlichkeit. Nach Beilegung eines innerkurdischen Bürgerkriegs zwischen KDP- und PUK-Milizen etablierte sich dort eine eigenständige Verwaltung, die ihren Bürgern eine im Irak sonst nicht übliche Normalität bot. Auch nach dem US-Einmarsch im vergangenen April änderte sich das nicht. Die Kurden-Provinzen blieben von Gewaltakten weit gehend verschont. Dafür gewann die Debatte zwischen Kurden und arabischen Irakern um den Charakter und die räumliche Gliederung der künftigen föderalen Staatsordnung deutlich an Schärfe. Für die Menschen in Erbil liegt es auf der Hand, dass der Doppelanschlag auch in dieser Hinsicht Öl ins Feuer gießen sollte.

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Gregor Mayer, DPA