Fall Böhmermann Erdogan klagt sogar gegen Kinder

Jan Böhmermann ist bei weitem nicht der einzige, durch den der türkische Präsident sich beleidigt fühlt. Recep Tayyip Erdogan hat mehr als 1800 Menschen anklagt - Journalisten, Karikaturisten, Ärzte und sogar Kinder.

Wird Recep Tayyip Erdogan besonders oft beleidigt oder empfindet er das bloß so? Mit seinen fragwürdigen Ansichten und provokanten Aussagen zu Hitler, Ausländern im eigenen Land, seinem Frauenbild oder Menschenrechten ganz allgemein hat der türkische Präsident schon häufiger mal für Gesprächsstoff gesorgt. Und der wurde freilich auch von Journalisten, Liedermachern, Karikaturisten und Komikern aufgegriffen - und das immer mal wieder auf eine Weise, die Erdogan als wenig schmeichelhaft empfand.

Die Beleidigungsklage gegen Jan Böhmermann ist keineswegs die einzige, die Erdogan stellte. Nein, der selbsternannte Satiriker ist nur einer von 1845 Menschen, von denen sich Erdogan beleidigt fühlt. So viele Verfahren liefen in der Türkei insgesamt schon wegen mutmaßlicher Beleidigung des Präsidenten.

Wer Erdogan beleidigt, muss ins Gefängnis

Unter den Beschuldigten sind Journalisten, Karikaturisten, Kabarettisten, Liedermacher, Schriftsteller, Oppositionspolitiker, aber auch viele Privatleute und sogar Kinder. Ein Arzt, der privat Bilder getwittert hatte, die Erdogan mit Gollum vergleichen, kam erst neulich vor Gericht und musste sich wegen Präsidentenbeleidigung verantworten. Für den Fall werden sogar "Herr der Ringe"-Experten zugezogen, die für das Gericht die Frage zu klären haben, ob Gollum nun böse ist oder nicht.

Bei einer Beleidigung des Präsidenten drohen in der Türkei je nach Schwere des Falls bis zu vier Jahre Gefängnis. Und das auch bei Kindern: Strafmündig ist man in der Türkei schon mit 13 Jahren - und darf selbst in diesem Alter eine Gefängnisstrafe erwarten, wenn der Präsident klagt und Recht bekommt.

Sogar mehrere Kinder angeklagt

Erdogan hat schon mehrmals selbst Kinder angeklagt. Einem Zwölfjährigen und einem 13-Jährigen drohte eine Gefängnisstrafe, weil die beiden ein Plakat mit Erdogans Konterfei abgerissen hatten - eine Beleidigung des Präsidenten. Die Staatsanwaltschaft forderte Gefängnisstrafen zwischen 14 Monaten und vier Jahren für die Schüler.

Es war nicht das erste Verfahren gegen Minderjährige, das Erdogan angestoßen hat. Ein anderes Mal war Erdogan beleidigt, weil sich ein Junge auf Facebook über ihn geäußert hatte. Der 13-Jährige wurde im Februar 2015 im Klassenzimmer festgenommen. Auch ein 17-Jähriger wurde bereits wegen Präsidentenbeleidigung zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt.

Der türkische Justizminister ist freilich ganz auf der Seite des klagewütigen Erdogan. "Ich bin nicht in der Lage, die schändlichen Kränkungen gegen unseren Präsidenten zu lesen", äußert der Minister Bekir Bozdag im Parlament, "es treibt mir die Schamesröte ins Gesicht".

Schnell werden Beleidiger auch zu "Terroristen"

Die maximal vier Jahre Haft, die bei Präsidentenbeleidigung anstehen, können aber auch ausufern. Denn aus einer Anzeige wegen Beleidigung wird auch mal eine Anklage wegen terroristischer Umtriebe. So geschehen im Fall der Zeitschrift "Nokta". Die hatte eine - nach Auffassung des Präsidenten - unvorteilhafte Erdogan-Fotomontage auf ihrer Titelseite veröffentlicht. Zunächst wurde gegen die Verantwortlichen des Magazins ebenfalls nur wegen Beleidigung des Präsidenten ermittelt. Doch später erweiterte die Staatsanwaltschaft die Anklage auf "Unterstützung einer Terrororganisation". Darauf steht in der Türkei bis zu lebenslange Haft.

Auch Redakteure der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" stehen als "Terroristen" vor Gericht. Das Blatt hatte Dokumente publiziert, die angebliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an islamistische Extremisten in Syrien belegen sollten. Nach Erdogans Klage drohen dem Chefredakteur und einem Korrespondenten jetzt lebenslange Haft. Erdogan selbst ist Nebenkläger in dem Verfahren.

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